Nordkorea: Wie Kim Jong Un seine Tochter inszeniert
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Offiziell ist nur bekannt, dass es sie gibt: Kim Jong Un an der Seite seiner Tochter.
© Quelle: Uncredited/KCNA/KNS/dpa
Unter der schwarzen Mütze ragt eine Strähne ihres Ponys hervor, die langen dunkelbraunen Haare fallen über den Rücken, am schwarzen Mantel hängt eine goldene Brosche. So steht sie auf dem Balkon und winkt. Andere Fotos zeigen sie auf einem Sofa sitzend neben ihrem Vater, mit einer Tasse in der Hand, während sie das Gesicht des Vaters streichelt. Es ist ein Mädchen, dessen Existenz bis vor wenigen Wochen noch nicht einmal bestätigt war, und das nun an der Seite des mächtigsten Mannes Nordkoreas zu sehen ist. Kim Jong Un und seine Tochter Ju Ae.
„Dass er eine Message sendet, erkennen wir. Aber wir wissen nicht, an wen sich die Message richtet und was die Message genau ist“, sagt Eric Ballerbach, Nordkorea-Experte bei der Stiftung Politik und Wissenschaft, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Erstmals im November 2022 zeigte sich Kim Jong Un mit seiner Tochter, bei einem Raketentest. Seither wurde das Mädchen gleich mehrfach an seiner Seite gesehen, die Familie gab gar Fotos heraus – etwas, das es bisher nicht gab. Doch was das zu bedeuten hat, ist unklar, seit Jahren können aufgrund des Corona-Lockdowns keine internationalen Beobachter mehr ins Land.
Wer wird die Nachfolge von Kim Jong Un antreten?
International wird spekuliert, ob Kim Jong Un seine Tochter als potenzielle Nachfolgerin etablieren möchte. Zu „CNN“ sagte Cheong Seong Chang, Analyst am Sejong-Institut in Südkorea: „Es besteht kein Zweifel mehr daran, dass Kim Ju Ae zur Nachfolgerin von Kim Jong Un ernannt wurde.“ Ein Gerücht, das über ein südkoreanisches Medium verbreitet wurde, wonach alle Frauen mit dem Namen Ju Ae angehalten seien, diesen zu ändern, würde die These unterstützen – allerdings handelt es sich um eine unbestätigte Meldung, an der es viele Zweifel gibt, wie „Insider“ berichtet.
„Ich glaube, es geht um Propaganda und Selbstdarstellung“, sagt Elisabeth Suh, Nordkorea-Expertin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Es gebe noch andere Personen, die als Nachfolge infrage kommen. Dass die Macht eines Tages jemanden aus der Kim-Familie übergehen wird, daran besteht kein Zweifel. Die Frage ist nur: An wen? Vor einigen Jahren wurde bereits spekuliert, dass Kim Yo Jong, die Schwester des aktuellen Machthabers, diese Rolle übernehmen könnte. Sie gilt als eine der mächtigsten Frauen des Landes, ist Direktorin des Ministeriums für Propaganda und Agitation. Nun wird Ju Ae damit in Verbindung gebracht. Aber auch ihre möglichen Geschwister könnten Kandidaten sein.
Kim-Dynastie in Nordkorea: ein Leben in Anonymität
Wenig ist bekannt über Kim Jong Un als Privatperson – außer, dass er Basketball mag. Im September 2013 gab US-Basketball-Star Dennis Rodman dem „Guardian“ ein Interview und sprach darin über seine Freundschaft zu Nordkoreas Diktator. Er berichtete davon, dass Kim eine Tochter habe, ein liebevoller Vater sei und dass er das Baby haben halten dürfen. Er war es auch, der einen Namen nannte, der offiziell aber nie bestätigt wurde: Ju Ae. Der südkoreanische Geheimdienst geht davon aus, dass er drei Kinder hat, einen 2010 geborenen Sohn, die vermutlich im Januar 2013 geborene Tochter Ju Ae, die in nordkoreanischen Staatsmedien nur „das geliebte Kind“ und „das geachtete Kind“ genannt wird, sowie eine 2017 geborene Tochter.
Wieso nun ausgerechnet das zweitgeborene Kind in die Öffentlichkeit rückt, ist ebenfalls unbekannt. Allerdings muss in der Kim-Dynastie nicht zwangsläufig der erstgeborene Sohn die Nachfolge antreten. Kim Jong Il war zwar ältester Sohn, Kim Jong Un hingegen soll zwei ältere Brüder haben. Bei einem potenziellen Nachfolger oder einer potenziellen Nachfolgerin zählen andere Dinge, etwa die Loyalität zum Regime, Sympathie zwischen Kind und Vater und wer sich im innerfamilären Machtkampf durchsetzt. Dass die Tochter in der Familie eine Sonderstellung hat, ist hingegen nahezu unbestritten – immerhin wird sie der Öffentlichkeit gezeigt, während ihre vermuteten Geschwister ein Leben in Anonymität führen müssen.
Kim Jong Un will Nordkorea zur stärksten Atommacht der Welt machen
Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un will mehr in den Ausbau seiner Nuklearwaffen investieren.
© Quelle: Reuters
Kim Jong Un inszeniert sich als fürsorglicher Vater – für Tochter und Volk
Die Geheimniskrämerei um die Nachfolge ist nicht neu. Kim Jong Uns Vater Kim Jong Il wurde früh zum späteren Nachfolger des ersten Diktators Kim Il Sung erklärt. Er hatte jahrelang Zeit, sich Verbündete zu suchen, mächtige Personen kennenzulernen und im Hintergrund Fäden zu ziehen. Bei seinem eigenen Sohn handhabte er es anders. Der heutige Diktator wuchs abseits der Öffentlichkeit auf. Weder sein tatsächliches Geburtsjahr ist bekannt, noch bestätigt, ob er wirklich einige Schuljahre in der Schweiz verbrachte. Erst 2010, ein Jahr bevor Kim Jong Il starb, gab es ein erstes offizielles Foto von Kim Jong Un. Als er an die Macht kam, hatte er keine Vertraute und musste sich Legitimation und Respekt erst verdienen – was zur Absetzung zahlreicher ranghoher Militärs und zur Ermordung vieler semi Mächtigen führte, etwa seines Onkels und seines Bruders.
Will Kim Jong Un nun also alles leichter machen für seine Tochter, soll sie schon jetzt Kontakte knüpfen und Netzwerke aufbauen, sich Verbündete suchen und mit dem Militär vertraut gemacht werden? „Ich glaube nicht an sie als Nachfolgerin“, sagt Suh. Im patriarchalen Nordkorea habe es zwar zuletzt einige Frauen in Machtpositionen gegeben, etwa Außenministerin Choe Son Hui, allerdings sei das noch keine Trendwende. Ihre These: „Kim Jong Un will sich als Vater der Nation ebenso wie als Familienvater inszenieren, der sich kümmert und für Modernität, Weiterentwicklung und Sicherheit seines Volkes und seiner Familie sorgt.“
Das Narrativ, dass das nordkoreanische Volk für Kim Jong Un Familie ist, ist nicht neu. Doch während es in den Städten durchaus Reichtum gibt, leidet vor allem die Landbevölkerung seit Ausbruch der Corona-Pandemie unter einem strengen Lockdown. Menschen dürfen auf dem Markt keine Sachen mehr verkaufen, das Einkommen brach für viele Familien komplett weg, eine Hungersnot schickt sich an. Die Tochter könnte sodann als Repräsentantin der Zukunft gesehen werden, als Teil einer Familie, die sich kümmert und das Volk schützt.
Kim Jong Un will womöglich von der nuklearen Aufrüstung Nordkoreas ablenken
Während einige Experten von einer Propagandamasche nach innen ausgehen, ziehen andere in Betracht, dass auch an die Außenwelt ein Signal gesendet werden soll. 70 Raketentests in zwei Jahren, so viele wie noch nie, hatte Nordkorea zuletzt. Dass das Land über enorme nukleare Kraft verfügt, ist unumstritten. Während die Welt gebannt nach Russland und in die Ukraine blickte, konnte Nordkorea unbeobachtet aufrüsten. Was Nordkorea wiederum auch in internationalen Verhandlungen zu einem deutlich mächtigeren Partner macht. Eine weitere mögliche Ablenkung durch die Tochter könnte da gelegen kommen.
Das ist auch vor dem Hintergrund spannend, dass Nordkorea im September 2022 das Nukleargesetz novelliert hat. Festgehalten ist hier, dass Nordkorea auch einen nuklearen Erstschlag starten darf. Bisher ging es darum, auf mögliche atmore Bedrohungen seitens Japan, Südkoreas oder der USA zu antworten. Außerdem regelt das Gesetz das Verfahren, sollte Kim Jong Un aufgrund einer Krankheit, eines Angriffs von außen oder gar des Todes befehlsunfähig werden. Keine vertraute Person erhält dann die Macht über die Nuklearwaffen, sondern es werden sogenannte predetermined orders umgesetzt: Handlungsbefehle, die Kim Jong Un schriftlich festgehalten hat. Es ist auch ein Zeichen, dafür dass Kim Jong Un zwar an seinen Abschied denkt – aber noch niemandem in seinem Umfeld die wichtige Rolle als Entscheider über die Nuklearwaffen zutraut. Nur eines ist klar, sagt Ballbach: „Wir sind weit entfernt von Klarheit in Sachen Nordkorea.“