„Rache für die Selbstsucht der Selbstzufriedenen“: So regiert die internationale Presse auf die Omikron-Variante
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Wegen der ungerechten Impfstoffverteilung auf der Welt tragen die reichen Industriestaaten für die internationale Presse eine Mitschuld an der neuen Corona-Variante. (Symbolbild: Ein Baby weint, als seine Mutter im Township Diepsloot in der Nähe von Johannesburg in Südafrika eine Impfung erhält.)
© Quelle: Denis Farrell/AP/dpa
Madrid. Erst seit Freitag ist weltweit überhaupt allgemein bekannt, dass es sie gibt - und schon mehren sich die internationalen Nachweise der Omikron-Variante (B.1.1.529) des Coronavirus. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Montag geht von der neuen Mutante für eine globale Ausbreitung ein „sehr hohes“ Risiko aus. Schon zuvor stoppten oder begrenzten zahlreiche Länder den Luftverkehr nach Südafrika und in dessen Nachbarstaaten, etwa die 27 EU-Mitgliedstaaten. Auch die Finanzmärkte reagierten nervös. Die Sorge vor der neuen Variante spiegelt sich auch in der internationalen Presse wieder. Dort sorgte vor allem die Impfstofferteilung für Kritik an den reichen Industrienationen.
„El Mundo“ (Spanien): Omikron die Quittung für leere Versprechen
„Wenn politische Versprechen oft leer sind, waren sie noch nie so leer wie jetzt. Prognosen sind angesichts von Virusmutationen nutzlos. Nachdem Verunsicherung und Panik eine Zeit lang weniger intensiv als die Pandemie waren, flammt diese nun wieder auf. Angst, Stress und Traurigkeit kehren zurück. Es gibt keine größere Katastrophe, als das Unglück herannahen zu sehen. Als es so schien, als hätten wir das Übel gebannt, kehrt das Übel aus Afrika zurück, als Rache für die Selbstsucht der Selbstzufriedenen. Es lauert bereits in mehreren Ländern Europas und ist so ansteckend wie Hass.
Die Nachrichten über Omikron sind über Prognosen, Rhetorik und die Aktienmärkte hinweggefegt. Es geht nicht um die Angst vor einer nuklearen Katastrophe, sondern um einen Hustenanfall, der einen umbringen kann.“
„L‘Alsace“ (Frankreich): Impfstoffverteilung ein Sinnbild für die Welt
„Zu den wesentlichen Fragestellungen bezüglich der Omikron-Variante zählt ihr Entstehungsort. Ist die niedrige Impfquote in den Ländern im Süden Afrikas der Grund dafür, dass das Virus mutiert ist? Während die Hälfte des Planeten noch keine erste Impfdosis erhalten hat, organisieren die reichsten Länder bereits die dritte Impfung. Eine Ungleichheit, die zeigt, wie uneins die sonst so sehr miteinander verflochtene Welt ist.“
„De Tijd“ (Belgien): Impfungen der „wichtigste Verteidigungswall“
„Durch die Omikron-Variante wird einmal mehr deutlich, wie schwierig das Virus unter Kontrolle zu bringen ist. Das liegt unter anderem daran, dass die Evolution des Virus unvorhersehbar und es daher schwierig ist, passende Maßnahmen zu ergreifen. Noch schwieriger wird eine effektive Vorbeugung durch das Auftauchen immer neuer Mutationen, die die Art der Ansteckung verändern. Impfungen sind immer noch der wichtigste Verteidigungswall. Zumindest sorgen sie für einen milderen Krankheitsverlauf. Deshalb ist es wichtig, so schnell wie möglich angepasste Impfstoffe herzustellen und zu verteilen. (...)
Welche Folgen Omikron für den weiteren Verlauf der Pandemie hat, muss sich erst noch zeigen. Wenn diese Variante ansteckender, jedoch weniger tödlich ist, kann das auch dazu führen, dass die Pandemie insgesamt weniger tödlich verläuft. Insbesondere, wenn die Deltavariante durch die neue verdrängt wird. Aber das ist vorläufig nur eine Vermutung. Eine wissenschaftliche Antwort darauf zu finden, wird in der Tat ein Wettlauf mit der Zeit.“
„Financial Times“ (England): Gerechter Zugang zu Impfstoffen zentral für Pandemiebekämpfung
„Die neue Corona-Variante lehrt uns vor allem zwei Dinge. Das eine ist der Wert der genomischen Überwachung für die Frühwarnung und die Notwendigkeit, sie auszuweiten. (...)
Zum anderen wird einmal mehr deutlich, wie wichtig es ist, ärmere Länder schneller mit Impfstoffen zu versorgen. Omicron hätte überall auftreten können. Aber seit langem wird befürchtet, dass Verzögerungen bei der Impfung in Entwicklungsländern - ganz abgesehen von moralischen Fragen - große Infektionsreservoirs schaffen könnten, in denen potenziell impfstoffresistente Mutationen auftreten und sich dann weltweit verbreiten könnten. Die Sicherstellung eines gerechten Zugangs zu einem Impfstoff wird immer wichtiger, wenn die Welt den Kampf gegen das Virus gewinnen will. Und der verspricht, wie jetzt klar ist, ein langer Zermürbungskrieg zu werden.“
„La Stampa“ (Italien): Kampf gegen Corona gelingt nur als globales Team
„Während sich im wohlsituierten Teil der Welt junge und gesunde Leute die dritte Impfdosis abholen, haben in Afrika gerade mal elf Prozent der Bevölkerung überhaupt eine Dosis erhalten, Länder wie Mali oder Burkina Faso kommen nur auf drei und zwei Prozent. Seit langem schlagen Wissenschaftler Alarm: Wenn wir den armen Ländern keine Impfungen zur Verfügung stellen, werden wir immer den Varianten von Sars-CoV-2 hinterher laufen. Und inzwischen wissen wir, dass das Hinterherlaufen keine Lösung ist, denn das Virus ist immer schneller.
(...) Um dem Virus nicht mehr hinterher zu hinken, müssen wir vorausschauender sein und als Team spielen, zum Beispiel einen globalen Blick auf die Frage haben, wie die verfügbaren Impfungen bestmöglich eingesetzt werden: ob es wichtiger ist, zwanzigjährige Europäer mit der dritten Dosis auszustatten oder lieber weltweit für weniger Zirkulation des Virus zu sorgen. Ob man lieber die Patente aussetzt, um mehr Impfstoff zu produzieren und ohne Kompromisse den Notlagen begegnen kann. Ob man Gelder für das Militär nicht lieber in die Anschaffung der Impfstoffe für Arme statt für Waffen ausgibt.
Wenn die Politik nicht in der Lage ist, ihren Teil beizutragen, über die eigenen Grenzen hinaus zu blicken und mutige Entscheidungen zu treffen, dann ist sie ein nutzloser Spieler und könnte dafür sorgen, dass wir das Spiel verlieren.“
RND/jst/dpa