Bedrückender Frontbericht

Russischer Ex‑Soldat rechnet in neuem Buch mit Putin ab

An der Front machte Filatjew schreckliche Erfahrungen.

An der Front machte Filatjew schreckliche Erfahrungen.

Zwei Monate lang hat Pawel Filatjew als russischer Soldat den Krieg in der Ukraine unter ständiger Todesgefahr und unter militärischer Führungs­losigkeit erlebt. Sein Entsetzen über die unter Kremlchef Wladimir Putin zur Chaostruppe verkommene russische Armee hat er schon im Sommer in dem packenden Frontbericht „Zov. Der verbotene Bericht. Ein Fallschirmjäger packt aus“ auf Russisch gratis im Internet geteilt – und damit international für Furore gesorgt.

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Nun erscheint das brisante Buch mit tiefen Einblicken in den Kriegsalltag und in die von Korruption und Vettern­wirtschaft geprägten Militär­strukturen auf Deutsch mit demselben Titel (Hoffmann-und-Campe-Verlag). „Zov“ ist das russische Wort für Ruf. Aber das große Z ist auch das Kriegssymbol, das russische Panzer in der Ukraine tragen. Dem 34‑Jährigen, der in Frankreich Asyl hat und seinen Aufenthaltsort geheim hält, droht in seiner Heimat lange Haft wegen Diffamierung der russischen Streitkräfte.

Filatjew glaubte an die „Befreiung der Ukraine“

Dennoch will Filatjew mit dem Zeitdokument so viele Russen wie möglich über die Sinnlosigkeit des Krieges aufklären – und sie bestenfalls dazu bringen, dagegen aufzustehen. Mehr als 600.000 Aufrufe hat allein die auf Youtube veröffentlichte russische Hörbuchversion.

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Als Soldat war er selbst dabei, als die russische Armee am 24. Februar in die Ukraine einmarschierte. Blauäugig glaubte er demnach anfangs an einen Grund für die Invasion, bis er selbst merkte, dass niemand dort auf die vom Kreml angekündigte Befreiung wartete. Auch die Behauptung der russischen Führung, sie habe einem kurz bevorstehenden ukrainischen Angriff zuvorkommen wollen, sei nicht wahr, stellt Filatjew fest.

Klare Kritik am Kreml

Für einen solchen Fall wäre es aus seiner Sicht einfacher gewesen, wenn Russland seine eigenen Grenzen verstärkt hätte und bei einem möglichen Angriff in die Gegen­offensive gegangen wäre – „… und die Weltgemeinschaft könnte uns nicht vorwerfen, ein Aggressor und Besatzer zu sein“.

Der Ex‑Soldat macht immer wieder deutlich, dass sich seine Kritik nicht gegen die einfachen und durch Mangel an Information in die Irre geführten Soldaten richtet, sondern vor allem gegen den Kreml, gegen den er heute sogar selbst die Waffe erheben würde. Er selbst könne aus seiner Zeit und dem Vorstoß in Richtung Cherson im Süden der Ukraine keine Gräueltaten der Armee bezeugen. „Ich kann mich natürlich nicht für die ganze Armee verbürgen, aber vor meinen Augen wurde niemand gequält, geschweige denn vergewaltigt.“

Abrechnung mit der Armee

Filatjew, dessen Vater schon in Russlands Kriegen kämpfte und mit magerer Rente und früh an Krebs starb, dreht sich um seine Erlebnisse, die miserable Ausstattung und Organisation der Truppe, der auch gar nicht klar sei, warum sie in der Ukraine kämpfe. Filatjew entlarvt die von Putin immer wieder so bezeichnete militärische Spezial­operation gegen Nazis in der Ukraine als Farce. Getötet werden Zivilisten, die gegen die russischen Besatzer sind – und es werden ganze Städte sinnlos zerstört, wie Filatjew erzählt.

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Der frühere Pferdezüchter, der nach einem Besuch in Bayern die deutsche Ordnung lobt, schildert authentisch, wie Soldaten durch fehlende Führung und Motivation scheitern. „Ich rauche und ärgere mich über die Führung, dass wir nun seit drei Tagen hier sind und oben offenbar niemand daran gedacht hat, dass wir etwas zu rauchen, zu essen und zu trinken brauchen.“ Kaputte Technik, ein Fahrzeug ohne Bremsen, durch Pannen verstümmelte Soldaten: „So eine Armee braucht keinen Gegner, wir machen uns selbst fertig.“ Die Armee sei „technisch hoffnungslos veraltet und moralisch verrottet“.

Gefälle zwischen Arm und Reich

In dem Buch wechseln sich tagebuch­ähnliche Notizen von der Front ab mit Analysen, bei denen Filatjew mit Abstand auf die Erlebnisse schaut. Während sich die Elite bereichere, in Villen, Schlössern und auf Jachten im Luxus lebe, müssten einfache Soldaten oft ihre ärztliche Behandlung und Medikamente selbst bezahlen. All das, so der Ex‑Soldat, solle den Menschen in Russland zeigen, wie es tatsächlich um die Armee stehe im flächenmäßig größten Land der Erde.

„Eine Armee, die zielgerichtet ruiniert wurde, während wir alle geschwiegen und uns die Paraden am 9. Mai auf dem Roten Platz angeschaut haben“, schreibt er mit Blick auf den Feiertag zum Sieg der Sowjetarmee über Hitler-Deutschland im Zweiten Weltkrieg. „Am 9. Mai danken wir unseren Vorfahren, die den Krieg beendet haben. Haben wir, ihre Nachkommen, jetzt wirklich einen Krieg begonnen?“

Aus Freundschaft wurde Hass

Ukrainer und Russen, die einmal in einem Land lebten und „unzählige Verwandtschafts­beziehungen haben“, seien nun durch Hass verfeindet. Filatjew, dessen Urgroßvater ein ukrainischer Großbauer im zaristischen Russland gewesen war, warnt, dass seine Heimat an der Besatzung zerbrechen könnte, weil die Kosten dafür, die Gebiete zu halten, den Staat in den Bankrott treiben könnten.

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Er selbst hat schon im Sommer angekündigt, den Erlös aus den Buchverkäufen in Deutschland und anderen Ländern, in deren Sprachen das Werk übersetzt wurde, zu spenden. Filatjew, der selbst nicht verheiratet ist und keine Kinder hat, zeichnet eine düstere Zukunft für sein Land, das in „Lügen, Betrug und falschen Werten“ versinke. Alles sei verkümmert – von der Verteidigung über das Gesundheits­wesen bis hin zum Rechtssystem. Der Mensch als solcher zähle nichts. „Aus dem Siegervolk wurde ein Besatzervolk und ein Aggressor!“

RND/dpa

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