„Russland wird frei sein“: Tourauftakt von „Pussy Riot“ in Berlin
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Maria Aljochina von der Punkband Pussy Riot beim Auftakt ihrer Tour „Riot Days“ im Funkhaus Berlin.
© Quelle: Getty Images
Berlin. „Sie ist so mutig“, sagen die beiden jungen Frauen vor dem Saal auf dem Gelände des alten DDR-Funkhauses an der Spree im Osten Berlin. Sie meinen Maria Aljochina, die „Pussy Riot“-Frontfrau, die pünktlich zum Tourstart ihrer Band auf spektakuläre Weise aus Moskau floh. „Sie ist so mutig“, sagt auch die junge Ukrainerin und erinnert an die Solidaritätsadresse für Alexej Nawalny, die Aljochina eine ihrer letzten Strafen einbrachte. Der Protest zeige, dass auch in Moskau Widerstand möglich sei, dass auch Russinnen und Russen mutig seien.
„Putin ist bestimmt froh, dass er sie los ist“, sagt eine kurzhaarige Berlinerin mit DDR-Erfahrung und Band-T-Shirt. „Aber es sind noch genug mutige Menschen in Russland. Stiller, ziviler Widerstand ist immer möglich. Und kein Überwachungsstaat dauert ewig.“
Es ist ein – wie könne es in diesen Tagen anders sein – hoch politisiertes Publikum, das sich zum „Pussy Riot“-Tourauftakt eingefunden hat. Die zierliche, blasse Sängerin verschwindet fast vor den Videoinstallationen, die im Bühnenhintergrund projiziert werden und die Geschichte der Band erzählen. Eine Geschichte, die durch den russischen Vernichtungskrieg in der Ukraine neue Aktualität gefunden hat. Aljochinas Power aber durchströmt den ganzen Saal.
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Maria (Masha) Aljochina und Olga Borisova, Pussy Riot im Funkhaus Berlin, 12.5.2022
© Quelle: Detlev Scheerbarth/MAZ
„Macht Putin platt“
„Russland wird frei sein“, „Macht Putin platt“ – all die Slogans, die Aljochina in ihrem hektischen Sprechgesang herausschreit, werden vom Berliner Publikum bejubelt. All ihre alten Parolen, mit denen Pussy Riot zuletzt vor drei Jahren tourte, haben neue Ohren gefunden. Und natürlich ruft sie auch „Slawa Ukraini!“ und wird ganz besonders stark bejubelt.
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Vor zehn Jahren waren Aljochina und ihre Mitstreiterinnen Putins Staatsfeindinnen Nummer eins. Sie waren die ersten, die mit feministischer Aktionskünstlerinnenattitüde Macht und Männlichkeit des Präsidenten infrage stellen. 40 Sekunden dauerte der Auftritt in Moskaus Christ-Erlöser-Kathedrale nur. Aljochina und drei Freundinnen führten mit bunten, übers Gesicht gezogenen Wollmützen ein „Punkgebet“ auf, um gegen die Nähe der orthodoxen Kirche zu Wladimir Putin zu protestieren. Zwei Jahre Strafkolonie brachte die Aktion Maria Aljochina und Nadja Tolokonnikowa ein – und die Trennung von ihren kleinen Kindern.
Tolokonnikowa, die im Ausland lebt, ist schon länger nicht mehr dabei, aus „Pussy Riot“ ist ein Punkkollektiv mit wechselnden Mitgliedern geworden. Internationales Aufsehen erregten ihre Mitglieder zuletzt durch den Platzsturm in Uniformen beim Finale der Fußball-WM 2018. Piotr Wersilow, der damals dabei war, musste später mit Vergiftungssymptomen in die Berliner Charité geflogen werden.
Auf Tour gingen Pussy Riot bereits in den vergangenen Jahren mit einer Performance, die auf Aljochinas autobiografischem Roman „Riot Days“ basierte. Aus der ersten Generation ist neben Aljochina noch Diana Burkot dabei, die auch beim Kirchenprotest dabei war, aber nicht verhaftet wurde. Der Jazzsaxofonist Anton Ponomarev steuert zum Agitpunk dramatische Solopassagen bei.
„Viele denken, ich hätte mich vor diesen 21 Tagen gefürchtet“
Die spektakuläre Flucht von Aljochina aus Moskau hat der lange geplanten Tournee der Band neue Aufmerksamkeit gegeben. Schon im vergangenen Herbst stand fest, dass das Punkkollektiv in Europa und den USA auf Tour gehen sollte. Aljochina war zu einem Jahr Hausarrest verurteilt worden, die Strafe hätte sie rechtzeitig abgesessen. Zunächst aber wurde der Hausarrest auf eineinhalb Jahre verlängert. Im April, als Teil der verschärften Repression gegen Dissidenten infolge des Überfalls auf die Ukraine, wandelte ein Gericht den Hausarrest in 21 Tage Gefängnis um. Sie entschied sich, aus dem Land zu verschwinden – nicht wegen der Haftstrafe, sondern weil ihr die Tour gerade in diesen Zeiten des Krieges wichtiger als alles andere war.
„Viele denken, ich hätte mich vor diesen 21 Tagen gefürchtet“, sagte Aljochina dem „Spiegel“. „Dabei habe ich schon so viel Zeit im Gefängnis verbracht! 21 Tage sind da gar nichts. Aber es passte einfach nicht in meinen Kalender. Ich wusste bis zuletzt nicht, was ich tun sollte.“
Russland habe sich in einen offen faschistischen Staat verwandelt, sagt die Sängerin. „Das ist offener Faschismus. Früher haben sie noch versucht, das irgendwie zu schmücken. Jetzt fällt die Dekoration weg. Der Buchstabe Z ist das neue Hakenkreuz. Kinder werden schon im Kindergarten in Form eines Z aufgestellt. Du siehst das und liest über das ‚Dritte Reich‘ und denkst, das ist doch dasselbe!“
Nach Flucht aus Russland: „Pussy Riot“ gibt Anti-Kriegs-Konzert in Berlin
Der Auftritt in Berlin war für die Musikerinnen der Band „Pussy Riot“ der Auftakt ihrer europaweiten Tour.
© Quelle: dpa
In einem neuen Song geht es genau darum: um den Einmarsch in die Ukraine, das Massaker von Butscha und das Z als Zeichen eines neuen Faschismus. Nach gut einer Stunde ist der Parforceritt durch den Widerstand der vergangenen zehn Jahre vorbei. Und es gibt neue Hoffnung.
Auch zum Kriegsende 1945 in Deutschland zieht Aljochina Parallelen. „Natürlich muss es ein Tribunal gegen Putin und seine Generäle geben. Aber es muss auch ein Nachdenken geben. Ohne ein Nachdenken in Russland hat das Land selbst kein Recht zu existieren – wie Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg“, sagt sie. „In Russland sollte es eine Entnazifizierung geben, nicht in der Ukraine.“
Sie überlegt nun, nach der Tour als humanitäre Helferin in die Ukraine zu gehen. Als Exilantin möchte sie aber nicht bezeichnet werden. Dem „Tagesspiegel“ sagte Aljochina: „Ich kann jederzeit zurück. Ich werde nur festgenommen.“
Am Freitag spielen Pussy Riot in Rostock.
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