Umstrittenes Referendum

Neue Verfassung in Tunesien: Schlittert das Land nun zurück in alte Zeiten?

Verfassungsreferendum in Tunesien

Verfassungsreferendum in Tunesien

Tunis. Tunesiens Wähler haben sich für eine neue Verfassung entschieden - und damit auch für einen Abbau der Demokratie. Bei einem Referendum stimmten vorläufigen Ergebnissen der Wahlbehörde zufolge 94,6 Prozent für die neue Verfassung und damit einen weitreichenden Machtausbau des Präsidenten. Allerdings nahm nur ein knappes Drittel der Wahlberechtigten an der Abstimmung am Montag teil. Die Verfassung kann nach der Verkündigung der endgültigen Ergebnisse voraussichtlich Ende August dennoch in Kraft treten. Eine Mindestbeteiligung war nicht vorgesehen.

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Staatschef Kais Saied kann nun künftig ohne Zustimmung des Parlaments etwa die Regierung sowie Richter ernennen und entlassen. Zudem soll er die Volksvertretung auflösen können. Die Verfassung sieht zudem keine Instanz mehr vor, die den Präsidenten kontrollieren oder ihn gar des Amtes entheben könnte. Der Ex-Juraprofessor kündigte auch an, das Wahlrecht ändern zu wollen.

Keine Hoffnung in Politik

Die Opposition hatte zum Boykott des Referendums aufgerufen. Vor allem junge Bürger blieben der Abstimmung aber aus anderen Gründen fern. Viele Tunesier haben Zweifel, ob die Demokratie als Staatsform geeignet ist, um die wirtschaftlichen Verwerfungen im Land zu bewältigen. Denn viele Menschen sind heute ärmer als noch zu Zeiten des Langzeitherrschers Zine El Abidine Ben Ali, den Massenproteste 2011 aus dem Amt drängten. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Immer mehr junge Menschen hoffen darauf, ihr Glück in Europa finden zu können. In die tunesische Politik setzen sie längst keine Hoffnung mehr.

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In Tunesien hatten 2010 die arabischen Aufstände begonnen, bei denen mehrere Länder in der arabischen Welt ihre autokratischen Langzeitherrscher in die Knie zwangen. Tunesien gelang als einzigem Land in der Region der Wandel zur Demokratie. Die mitunter sehr chaotische junge Demokratie schaffte es jedoch nicht, wichtige Reformen in Gang zu bringen.

Tunesien: Offenbar breite Mehrheit für neue Verfassung

Die neue Verfassung in Tunesien sieht vor, dass der Präsident unter anderem die Regierung sowie Richter ernennen und entlassen darf.

Viele hoffen nun darauf, dass ein starker Präsident die Probleme anpackt und für Stabilität sorgt. Beispiel dafür ist in der Region unter anderem Ägypten, wo der demokratische Umbruch nur ein kurzes Experiment blieb. Mit Präsident Abdel Fattah al-Sisi ist seit 2013 ein Armeechef an der Spitze, über den Kritiker sagen, er unterdrücke sein Volk mit noch schlimmeren Methoden als zu Mubaraks Zeiten.

Menschenrechtler warnen

Im Dezember soll in dem Mittelmeerstaat auch eine Parlamentswahl stattfinden. Die EU forderte das Land zu einem nationalen Dialog auf, um „die Legitimität und Repräsentativität des künftigen Parlaments“ zu gewährleisten. Die Wahl sei eine wichtige Voraussetzung unter anderem für die Rückkehr zur Gewaltenteilung, zum Pluralismus und zur Wahrung der Grundfreiheiten.

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Menschenrechtler haben nach dem Votum für eine neue Verfassung vor weiteren Rückschlägen für die Demokratie in Tunesien gewarnt. Die Verfassung reihe sich ein in den seit einem Jahr anhaltenden „Prozess der schleichenden Erosion von Menschenrechten und Grundfreiheiten“, sagte die Amnesty-Expertin für Nordafrika, Katja Müller-Fahlbusch, dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Mittwoch. Laut den am Dienstagabend veröffentlichten Wahlergebnissen hatte bei dem Referendum eine große Mehrheit für den umstrittenen neuen Verfassungstext gestimmt. Die Wahlbeteiligung war jedoch außerordentlich niedrig. Tunesische Organisationen monierten Unstimmigkeiten bei der Auszählung.

RND/dpa

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