„Gefährlicher Schritt“

Experte erklärt: Was bezweckt Putin mit den Scheinreferenden auf der Landbrücke zur Krim?

Eine ältere einheimische Frau gibt ihre Stimme am 2. November 2014 in einem Wahllokal während der Wahlen in Luhansk ab.

Eine ältere einheimische Frau gibt ihre Stimme am 2. November 2014 in einem Wahllokal während der Wahlen in Luhansk ab.

In den von Russland besetzten Regionen der Ukraine sollen die Einwohner ab Freitag über den Beitritt ihrer Region zu Russland abstimmen. Die Scheinreferenden sollen vom 23. bis 27. September in den Donbass-Regionen Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine und in den südlichen Gebieten Cherson und Saporischschja stattfinden. Es handelt sich damit um die Regionen entlang der gesamten Landbrücke zur Halbinsel Krim. Diese wurde bereits 2014 von Russland völkerrechtswidrig annektiert. Schon damals wurde das Fake-Referendum international nicht anerkannt. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am am Dienstag vor Journalisten in New York, es sei „ganz klar, dass diese Scheinreferenden nicht akzeptiert werden können“. Sie seien nicht vom Völkerrecht gedeckt.

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Experte: Referenden sind reine Symbolpolitik

„Putin will mit den Referenden die Initiative wiedererlangen“, erklärt der Politikwissenschaftler Thomas Jäger von der Universität zu Köln den Schritt. Aber die Fake-Referenden werden nichts ändern, glaubt er, weil sie reine Symbolpolitik seien. „Russland kann die Gebiete noch nicht einmal vollständig militärisch besetzen, geschweige denn politisch verwalten“, sagt er im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Laut dem Lagebericht des US-Thinktanks „Institute for the Study of War“ kontrollieren die russischen Streitkräfte die Gebiete Donezk, Luhansk und Cherson nicht vollständig und haben sich in den vergangenen Tagen sogar vielerorts zurückgezogen. Grund dafür ist die Gegenoffensive der Ukraine, die russische Truppen zunehmend in Bedrängnis bringt.

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Mobilmachung und Drohung mit Nuklearwaffeneinsatz möglich

Verkündet Russland nach der Scheinabstimmung den Beitritt der Regionen zur Russischen Föderation, würde die Ukraine auf vermeintlich russischem Territorium kämpfen. „Damit könnte Putin eine Mobilmachung rechtfertigen, weil in der Logik Russland nun russisches Staatsgebiet angegriffen wird“, erklärt Jäger mögliche nächste Schritte. Außerdem könne der Kremlchef mit dem Einsatz von Nuklearwaffen drohen, um Waffenlieferungen aus dem Westen zu verhindern, und dies mit den Kämpfen in Donezk, Luhansk und Cherson begründen. „Wie auch immer Putin sich entscheidet, es ist ein ganz gefährlicher Schritt für den russischen Präsidenten.“

In russischen Staatsmedien wird über die Annexionspläne schon seit Tagen euphorisch diskutiert. Die Putin-Propagandistin und „Russia Today“-Chefredakteurin Margarita Simonyan lobte die Pläne und sprach von einem neuen „Krim-Szenario“. Russland werde es nun leichter haben, die Nato mit Vergeltungsschlägen für die ukrainischen Gegenangriffe zu bedrohen.

Putin: Haben es in der Ukraine nicht eilig

Russland habe es nicht eilig, seine „spezielle Militäroperation“ in der Ukraine zu beenden, sagte Präsident Wladimir Putin am Rande eines Mehrstaatengipfels.

Die Scheinreferenden und der Anschluss zu Russland werden den Krieg laut Jäger aber nicht grundlegend ändern. Die notwendige Mobilmachung, also die zwangsweise Einberufung weiterer Kräfte in die Armee, bleibe in Russland weiter unbeliebt. Daran würden auch die Referenden in der Ukraine nichts ändern. Ähnlich äußerte sich später der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba. „Weder die Pseudoreferenden noch die hybride Mobilmachung werden etwas ändern“, schrieb er bei Twitter.

Russland verteilte bereits Pässe und führte Rubel in besetzten Gebieten ein

In den besetzten Gebieten der Ukraine hatte Russland in der Vergangenheit bereits russische Pässe verteilt. Allein im Donbass hatten etwa 700.000 Menschen einen russischen Pass erhalten. Die russische Armee hatte propagandistische Zeitungen verteilt, Lebensmittel, Wasser und Baumaterial, um die Menschen vom Beitritt zu Russland zu überzeugen. In vielen Orten wurde der Rubel als Währung eingeführt. Nach Beginn der ukrainischen Gegenoffensive sollen sich laut ISW einige der führenden kremltreuen Separatisten nach Russland abgesetzt haben, darunter der Separatistenanführer aus Donezk, Denis Puschilin. Unabhängig überprüfen lässt sich dies nicht.

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Wie Russland vorgehen will, um dem Referendum zumindest einen Anstrich von Legitimation zu verleihen, ist völlig offen.

Thomas Jäger,

Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln

Wie Russland überhaupt ein Referendum abhalten will, sei allerdings fraglich, meint Experte Jäger. „Der Großteil der Menschen ist geflohen oder wurde nach Russland deportiert.“ Viele Gebäude im Donbass seien zerbombt und es sei völlig unklar, wo noch Menschen wohnten, die abstimmen könnten. „Wie Russland vorgehen will, um dem Referendum zumindest einen Anstrich von Legitimation zu verleihen, ist völlig offen.“

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