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Viel Wumms um nichts

Bundeskanzler Olaf Scholz hat am Montag von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat am Montag von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht.

Liebe Leserin, lieber Leser,

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an meinem Beruf schätze ich vor allem jene kribbelnden Momente, in denen plötzlich klar ist: Gleich passiert etwas. Das Gefühl liegt dann irgendwo zwischen Vorfreude auf Bescherung und Rückgabe der Klassenarbeit – auch wenn eigentlich der Feierabend naht. Der vergangene Montagabend hat einen solchen Augenblick bereitgehalten. Aus der Regierung war herausgedrungen, dass es an diesem Tag doch noch eine Entscheidung in dem wochenlang währenden Atomstreit geben soll – und zwar schnell. Eine gute Stunde später hatte ich die Pressemitteilung in meinem E-Mail-Eingang. Wenige Minuten danach haben wir auf RND.de die Eilmeldung verbreitet, dass der Kanzler unter Einsatz seiner Richtlinienkompetenz für einen Streckbetrieb der noch drei verbliebenen Atommeiler bis längstens 15. April entschieden hat.

Seitdem ist in der Öffentlichkeit breit ausgelotet worden, ob das nun die Grünen oder die FDP stärkt oder schwächt und was das für den Fortbestand der Ampelregierung bedeutet. Die Bilanz ist ernüchternd: In ihrer mit existenzieller Dramatik aufgeladenen öffentlichen Auseinandersetzung um die Atompolitik standen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) kurz vor der Havarie. Nur mit einem Manöver des letzten Augenblicks – dem offensiven Einsatz seiner Richtlinienkompetenz – konnte der Kanzler die Lage entschärfen. Wenn man auf das große politische Instrument einerseits und auf das kleine Ergebnis andererseits schaut, muss man frei nach Shakespeare festhalten: Viel Wumms um nichts.

Entscheidung im AKW-Streit: Scholz für Mittelweg zwischen Grünen und FDP
ARCHIV - 11.09.2022, Bayern, Essenbach: Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Atomkraftwerks (AKW) Isar 2. Die verbleibenden drei deutschen Atomkraftwerke sollen maximal bis zum 15. April 2023 weiterlaufen können. Das hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) entschieden. (zu dpa "Scholz spricht Machtwort: Drei AKW sollen länger laufen können") Foto: Armin Weigel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Erstmals macht Olaf Scholz damit seit Antritt der Ampelkoalition von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch.

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Dabei ist sich der Kanzler durchaus bewusst, dass die Richtlinienkompetenz zu jenen politischen Instrumenten gehört, die man immer zur Disziplinierung auf dem Tisch liegen haben, sie aber nicht aktiv nutzen sollte. Noch vor wenigen Monaten in der Bundespressekonferenz war Scholz nach der Ausübung seiner Richtlinienkompetenz gefragt worden und hatte durchaus süffisant erklärt: „Es ist gut, dass ich sie habe, aber natürlich nicht in der Form, dass ich jemandem einen Brief schreibe und bitte: Herr Minister, machen Sie das Folgende. Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Regierung die wichtigen Entscheidungen trifft, die uns in die Lage versetzen, auf diese Krise zu reagieren.“

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Nun hat er das Gegenteil getan und der Schaden ist angerichtet. Die konkrete Debatte um die Laufzeiten ist zwar – auch mit der Kabinettsentscheidung von Mittwoch zu den Laufzeiten – vorerst beendet, befriedet ist das Thema aber nicht. In der Grünen-Fraktion ist Grummeln und Grollen über das Vorgehen des Kanzlers zu vernehmen und dort wächst auch Misstrauen gegen Habeck. Derweil wagen sich die ersten Liberalen aus der Deckung, die den Streckbetrieb der Atomkraft als Einladung für eine Streckung der Debatte um längere Laufzeiten sehen.

Berüchtigte Kurzsätze

Sie erinnern sich bestimmt noch an Franz Müntefering, früherer SPD-Chef und einstiger Lieblingsvizekanzler von Angela Merkel. Er verstand es, den politischen Betrieb mit kurzen Sätzen von großer Tragweite zu bereichern. Einer davon: „Wer sich auf die Richtlinienkompetenz beruft, der weiß, dass die Koalition zu Ende ist.“ Nun war Müntefering in einer Zeit aktiv, in der die Rente mit 67 noch unser größtes politisches Problem war – seine Aussage sollte der Ampelkoalition dennoch Mahnung sein.

Franz Müntefering ist ehemaliger Bundesvorsitzender der SPD.

Franz Müntefering ist ehemaliger Bundesvorsitzender der SPD.

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Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sich nun auch eine Mehrheit der Parlamentarier hinter dem Machtwort des Kanzlers versammeln und der Änderung des Atomgesetzes zustimmen wird. Auch wenn es Abweichler geben wird, dürfte es für eine Mehrheit reichen – die Regierung hat 48 Stimmen über den Durst. Mehr als einmal werden die Fraktionen ein solches Machtwort aber nicht gehorsam hinnehmen.

 

Machtpoker

Aber es macht deutlich, die Welt schaut eben nicht weg.

Annalena Baerbock,

Deutsche Außenministerin

 Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen).

Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen).

Die Grünen-Politikerin verweist auf etwas, das nach ihrem Wunsch von der EU erst einmal beschlossen und umgesetzt werden müsste: weitere Sanktionen gegen den Iran. Dieses Land unterdrückt seine Menschen, unterstützt Russland militärisch und stellt mit seinem Atomprogramm ein Sicherheitsrisiko für den Rest der Welt dar. Dass die EU nicht schon längst mehr Strafen und Sanktionen gegen den Iran verhängt hat, ist bitter. Noch schaut die Welt leider weg.

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Wie Demoskopen auf die Lage schauen

Nur 19 Prozent der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger glauben, dass sie durch das angekündigte „Energiepaket“ ausreichend entlastet werden, um im kommenden Winter ihre Heiz- und Stromkosten bezahlen zu können. Das geht aus der aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag von RTL/N-TV hervor. Weiter heißt es: „Dass Olaf Scholz (9 Prozent) und Christian Lindner (11 Prozent) eine durchdachte Strategie haben, um die Energiekrise zu bewältigen und die Belastungen für die Bürger in Grenzen zu halten, glaubt bei beiden jeweils nur etwa ein Zehntel.“ Wirtschaftsminister Robert Habeck steht etwas besser da, von dem das 18 Prozent glauben. Die große Mehrheit allerdings von 68 Prozent denkt, dass keiner der drei über eine durchdachte Strategie verfügt.

Die Opposition scheint auch nicht zu überzeugen. In der aktuellen Sonntagsfrage müssen Union und Linke Federn lassen:

 

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