„Wir müssen uns von der Illusion einer perfekten EU verabschieden“

Alexander Stubb will die Europäische Volkspartei in die Europawahl führen.

Alexander Stubb will die Europäische Volkspartei in die Europawahl führen.

Berlin. Alexander Stubb (50) war 2008 bis 2014 Finnlands Außen- und Europaminister und anschließend ein knappes Jahr lang finnischer Ministerpräsident. Zurzeit ist der begeisterte Triathlet Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg. Stubb spricht fünf Sprachen, darunter Deutsch. Er ist mit einer Britin verheiratet, das Paar hat zwei Kinder.

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Herr Stubb, warum wollen Sie EU-Kommissionschef werden?

Europa ist seit je her meine große Leidenschaft. Na ja, in jungen Jahren hat mich vor allem Sport begeistert. Aber seit dem Studium und über meine gesamte politische Laufbahn als Europa-Abgeordneter und finnischer Außenminister hat mich europäische Politik umgetrieben. Jetzt habe ich die Chance, für die Europawahlen im Mai 2019 Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) und im Falle eines Wahlsieges EU-Kommissionschef zu werden – ich will sie nutzen.

Europäische Union – für viele ist das ein Synonym für Krise und Zwist. Für Sie nicht?

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Doch, natürlich. EU bedeutet permanentes Krisenmanagement. Auf die Krise folgt das Chaos, das dann in eine suboptimale Lösung mündet. Bis zur nächsten Krise. Aber das soll uns nicht schrecken: Wir müssen endlich Schluss machen mit der Illusion von einer perfekten Europäischen Union. Die EU wird nie perfekt sein. Sie wird unvollkommen bleiben.

Der wachsende Zuspruch für populistische und radikale Parteien beunruhigt Sie nicht?

Doch, das tut er. Wir stehen an einem historischen Wendepunkt. Wir hatten in den vergangenen hundert Jahren drei große Ideologien. Den Faschismus haben wir 1945 besiegt. Den Kommunismus haben wir 1989 überwunden. 2016 – das Jahr der Wahl von Donald Trump und des Brexit-Votums – könnte sich rückblickend als der Beginn vom Ende der liberalen Demokratie erweisen. Beide Ereignisse sind Ausdruck eines erschütterten Sicherheitsgefühls vieler Menschen. Und diese Erschütterung hat jetzt unsere Werte erfasst: Wir erleben einen Angriff auf Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, Gleichberechtigung.

Wer greift an?

Zum einen erfolgt der Angriff von außen, etwa durch Trump, durch China und Russland. Zum anderen geraten Europas Werte von innen heraus unter Beschuss: Sie werden von der polnischen, der ungarischen, der italienischen und der rumänischen Regierung bedroht. Selbst aus dem Inneren meiner Parteienfamilie, der EVP, der ja auch Ungarns Premier Viktor Orban angehört. Einer muss doch jetzt mal aufstehen und Europas Werte verteidigen. Das will ich tun, darum will ich kandidieren.

Wollen Sie Orbán aus Ihrer Parteienfamilie ausschließen?

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Orbán spricht von illiberaler Demokratie – das ist doch ein Widerspruch in sich. Wie Orbán die Meinungs-, Versammlungs- und Wissenschaftsfreiheit einschränkt, ist absolut inakzeptabel. Orbán muss sich zu den Werten unserer Parteifamilie bekennen. Tut er das nicht, muss er die EVP verlassen. Für Intoleranz habe ich null Toleranz. Politik handelt meiner Meinung nach nicht von Macht, sondern von Werten. Ich bin nicht dazu bereit, für sichere Mehrheiten die Verfehlungen Orbáns unter den Teppich zu kehren.

Entgegen der Meinung seiner Partei hat sich auch Ihr Konkurrent um die Spitzenkandidatur, der CSU-Politiker Manfred Weber, kritisch zu Orbán positioniert. Was unterscheidet Sie von Weber?

Manfred und ich stehen in einem fairen, offenen Wettstreit. Manfred ist Manfred, ich bin ich. Er ist eine Mitte-Rechts-Konservativer. Neben einem Bayern mute ich als Skandinavier wohl ziemlich liberal an.

Hat Deutschland zu viel oder zu wenig Einfluss in der EU?

Ich will ein starkes Deutschland. Ich will, dass Deutschland eine starke Führungsrolle in der EU innehat, gemeinsam mit Frankreich und mit starken europäischen Institutionen. Zuletzt war das deutsch-französische Duo eher eine Bremse denn Triebfeder der europäischen Integration, das sollte sich ändern. Wir brauchen Führung in Europa – von der Außen- und Sicherheits- über die Wirtschafts- und Finanzpolitik bis hin zur Migrationsfrage.

Hat Kanzlerin Angela Merkel mit ihrer Flüchtlingspolitik die EU gespalten?

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Ich habe mit der Kanzlerin immer sehr gut zusammengearbeitet, ich bewundere Angela Merkel. Wer hat denn die Migrationskrise gelöst? Es war Angela Merkel mit dem EU-Türkei-Abkommen. Sie war Teil der Lösung, nicht des Problems. Wer die Autorität der Kanzlerin untergraben will, untergräbt auch die Autorität Deutschlands in der EU.

Sollten Sie Kommissionschef werden, werden Sie die künftigen Beziehungen zum Nicht-EU-Mitglied Großbritannien gestalten müssen. Was schwebt Ihnen vor?

Sollte ich Kommissionschef werden, werde ich den EU-Erweiterungskommissar mit der Ausgestaltung enger und partnerschaftlicher Beziehungen zu Großbritannien betrauen.

Rechnen Sie mit Brexit-Nachahmern in der EU?

Nein. Ich glaube an die Vernunft der Europäer. Gegen die EU zu sein, ist so, wie gegen das Internet zu sein: Klar kann man außen vor bleiben, aber besser ist es, drin zu sein und den Content mitzugestalten. Der Brexit ist lächerlich, ein dummer Fehler historischen Ausmaßes.

Von Marina Kormbaki/RND

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