Autos ohne Lenkrad: Chinas Techriese Baidu schickt seine Robotaxiflotte auf die Straße
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/FHRBVZ5P2BGOBEEI2WJQMXH4Q4.jpeg)
Ein Robotaxi des chinesischen Herstellers Baidu.
© Quelle: Fabian Kretschmer
Peking. Die Zukunft des autonomen Fahrens liegt in einem unscheinbaren Industriepark am südlichen Stadtrand von Peking. Mindestens ebenso unscheinbar wie die Gegend wirken auch die PKW, welche im Minutentakt an der Eingangsschranke zum Apollo-Park in die Straßen der chinesischen Hauptstadt hinausschwirren. Nur wer genauer hinschaut, erkennt, dass ihr Fahrersitz vollkommen leer ist.
Chinas Techriese Baidu, in seiner Heimat vor allem für seine Onlinesuchmaschine á la Google bekannt, hat hier auf mehreren Quadratkilometern ein Testzentrum für seine Robotaxiflotte errichtet. In einer der riesigen Fabrikhallen hat das Unternehmen sämtliche seiner bisher sechs Generationen an fahrerlosen Autos aufgereiht. Die ersten Modelle stammen bereits aus dem Jahr 2013 und durften lediglich in verlassenen Parkgaragen kurven. Doch mit jedem weiteren Entwicklungsschritt wurden die Kamerasensoren weniger klobig, das Design freundlicher und die Kosten moderater.
Der ganze Stolz der Chinesen gipfelt im Apollo RT6, der erst im Juli der Weltöffentlichkeit vorgestellt wurde. Das Auto, welches vom äußeren Design einem klassischen Pkw ähnelt, kommt erstmals vollständig ohne Lenkrad aus. „Man kann dort anstelle des Fahrersitzes Gepäck abladen, einen Bürotisch einrichten – oder sogar eine kleinen Karaokemaschine installieren“, sagt eine Baidu-Mitarbeiterin, die den Journalistenbesuch durch die Räumlichkeiten führt.
Die massive Kostensenkung wird es uns ermöglichen, Zehntausende von autonomen Fahrzeugen in ganz China einzusetzen.
Robin Li,
Gründer von Baidu
Doch wirklich bahnbrechend ist der Pkw, an dessen Karosserie zwölf Kameras und acht Lidar-Sensoren angebracht sind, vor allem wegen seiner Kosten: Pro Einheit schlägt der RT6 nur mehr mit 250.000 Yuan – umgerechnet knapp 36.000 Euro – zu Buche, was rund die Hälfte vorangegangener Robotaxis darstellt. „Die massive Kostensenkung wird es uns ermöglichen, Zehntausende von autonomen Fahrzeugen in ganz China einzusetzen“, sagte Baidu-Gründer Robin Li bei der Weltpremiere des Autos: „Wir bewegen uns auf eine Zukunft hinzu, in der die Fahrt mit einem Robotaxi nur die Hälfte verglichen mit einem normalen Taxi kosten wird.“
Bis dahin ist es allerdings noch ein steiniger Weg. Vieles hängt nicht nur von den technischen Möglichkeiten ab, sondern vor allem, ob und wann die Regulierungsbehörden ihr grünes Licht geben. Doch genau in diesem Bereich hat die Volksrepublik China einen entscheidenden Standortvorteil: Schließlich hat die Regierung das autonome Fahren als eine jener Zukunftstechnologien identifiziert, die dem derzeit wirtschaftlich angeschlagenen Land als Wachstumsmotor dienen soll. Dementsprechend kann sie die gesetzlichen Hebel deutlich schneller und auch flexibler in Bewegung setzen, als es in den meisten westlichen Demokratien möglich ist. Schon jetzt gibt es etwa unter Experten einen einhelligen Konsens darüber, dass es nirgendwo außerhalb Chinas geeignetere und großzügigere Teststrecken für fahrerlose Pkw gibt.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/DLBSK3KF2ZARFIOONTWCVVN6WQ.jpeg)
Pekings langer Arm auf den Weltmeeren: Wer ist der umstrittene Investor für den Hamburger Hafen?
Chinas staatliche Reederei Cosco hat die letzten Jahre einen spektakulären Aufstieg hingelegt – alleine im September wurden neue Schiffe für 3 Milliarden Euro bestellt. Die mögliche Investition in Deutschlands größten Hafen ist jedoch vor allem politisch motiviert.
Doch auch im Reich der Mitte wird der RT6 frühestens im kommenden Jahr in Betrieb gehen. Dementsprechend muss der Journalistenbesuch bei der Testfahrt im September mit dem RT5 Vorlieb nehmen: Die Strecke führt dabei nicht – wie noch wenige Monate zuvor üblich – durch ein abgesperrtes Firmengelände. Stattdessen kurvt das autonome Robotaxi durch leere, aber immerhin öffentliche Straßen in Pekings Süden.
Noch vor wenigen Jahren wäre es kaum vorstellbar gewesen, dass sich computergesteuerte Autos durch den wilden Verkehr der Hauptstadt kämpfen würden – einem Abgasmolloch aus kilometerlangen Feierabendstaus, holprigem Asphalt und stets hupenden Taxifahrern. Doch im Vergleich zur Vergangenheit wirkt Peking mittlerweile wie ein regelrechtes Mekka für autonome Pkw – und das hat auch mit der urbanen Architektur zu tun: Die schachbrettförmigen, breit ausgebauten Hauptverkehrsadern sind in ihrer Mitte fast durchgängig durch Gitterzäune getrennt, um illegale Spurwechsel zu unterbinden.
Wie gut sich darauf fahren lässt, wird während der knapp 15 Kilometer langen Tour mit dem RT5 überdeutlich. Ohne Ruckeln nimmt der Pkw seine Kurven, wechselt problemlos die Spuren und bremst auch mit weicher Eleganz ab, als ein rasender Lieferkurier auf seinem Elektroscooter plötzlich die Spur abschneidet.
Dennoch muss auf dem Beifahrersitz des Robotaxis nach wie vor ein Firmenmitarbeiter Platz nehmen – dies sei jedoch, wie man von Seiten Baidus versichert, lediglich der Gesetzgebung geschuldet. Technisch wäre dies nicht mehr notwendig, und in der Tat muss der Mann kein einziges Mal seinen Finger krümmen.
Große Pläne
Erst im August hat Baidu weltweit für Schlagzeilen gesorgt, als das Unternehmen für seinen RT5 die landesweit erste Lizenz für kommerzielle Robotaxis ohne Sicherheitsfahrer erhalten hat. Bei näherer Betrachtung handelt es sich dabei bislang jedoch mehr um einen Hype als einen wirklichen Durchbruch: Die fahrerlosen Autos dürfen zunächst ausschließlich in zwei Städten – Wuhan und Chongqing – unterwegs sein und das nur zu bestimmten Tageszeiten sowie in abgesteckten Kiezen. Immerhin laufen bereits Verhandlungen über eine flächendeckende Ausweitung der Robotaxis auf weitere Metropolen des Landes. Bis 2025 will man mit dem fahrerlosen Taxidienst in 65 chinesischen Städten operieren, gegen Ende der Dekade gar in mindestens 100.
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Spotify Ltd., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Die größte heimische Konkurrenz stammt dabei ausgerechnet von zwei ehemaligen Baidu-Angestellten, die vor sechs Jahren das Start-up Pony.ai in Kalifornien gegründet haben. Das von Toyota als Investor unterstützte Pony.ai hat zwar bereits in der chinesischen Hauptstadt autonome Taxis im Einsatz, doch muss dort aus Sicherheitsgründen weiterhin ein Fahrer auf dem Beifahrersitz Platz nehmen.
Im internationalen Vergleich sind die Chinesen bei der fahrerlosen Zukunft führend, wenn sie auch den USA einen Tick hinterher hängen: Cruise mit Sitz im Silicon Valley hat dieses Jahr bereits kommerzielle Robotaxis in San Francisco gestartet und Waymo, hervorgegangen aus dem Google-Imperium, betreibt bereits seit 2020 ein ähnliches Projekt im US-Staat Arizona.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/VMVO322PQRFUHBHBUMU2L52XPM.jpeg)
Mountain View, USA: Ein selbstfahrendes Auto der Google-Schwesterfirma Waymo ist bei einer Testfahrt unterwegs.
© Quelle: Andrej Sokolow/dpa
Dass sich das Techrennen zwischen den zwei Weltmächten ohne Konkurrenz aus Europa entscheiden wird, scheint nach derzeitigem Wissensstand wahrscheinlich. Ebenso anzunehmen ist, dass sich aufgrund der geopolitischen Spannungen zwei relativ autarke Systeme herausbilden werden.
Baidu bekundet zumindest, dass es derzeit keine Pläne hege, mit seinen Robotaxis und -bussen ins Ausland zu expandieren. Der heimische Markt von 1,4 Milliarden Chinesen sei schließlich groß genug. Doch Teil der Wahrheit ist auch: Wohl wenige Kunden in Europa und den USA würden gerne in einem Auto voller Kameras und Sensoren sitzen, dessen Aufzeichnungen von einem Unternehmen gesammelt werden, das per Gesetzgebung dazu verpflichtet ist, seine Daten im Ernstfall der Regierung weiterzuleiten.