Mehr Privatinsolvenzen befürchtet: Jeder Dritte hat fast keine Rücklagen
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Vorletzter Ausweg Tafel: Viele Menschen haben kaum Rücklagen.
© Quelle: IMAGO/Wolfgang Maria Weber
Knapp ein Drittel der Bevölkerung hat kaum Rücklagen, warnt das statistische Bundesamt: Schon 1150 Euro unerwartete Mehrausgaben übersteigen bei 31,9 Prozent der Bevölkerung das Budget, heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Untersuchung. Das wird besonders in der Energiekrise zum Problem: Die Nachfrage nach Schuldnerberatungen steigt, beobachtet deren Zentralverband.
Kaum Rücklagen – das bedeutet, dass sowohl kaputte Haushaltsgeräte als auch eine plötzlich vervielfachte Gasrechnung unbezahlbar werden: Aus eigenen Finanzmitteln solche größeren und unerwarteten Ausgaben zu stemmen, dazu ist das ärmste Drittel „nicht in der Lage“, schreibt das statistischen Bundesamt. In den Niederlanden gelte das für lediglich 15,1 Prozent der Bevölkerung, in ärmeren EU-Staaten wie beispielsweise Rumänien für mehr als 40 Prozent, so die Behörde.
„Viele haben keinerlei finanziellen Spielraum, eine höhere Abschlagszahlung oder die bevorstehende Jahresabrechnung hat dann dramatische Auswirkungen“, schilderte auch Co-Sprecher Michael Weinhold von der Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatungen (AG SBV). Wie bei Krisen üblich, werde sich das erst verzögert bemerkbar machen, „ich gehe aber insgesamt davon aus, dass mehr Menschen zur ultima Ratio greifen und Privatinsolvenz anmelden“, sagte Weinhold dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Schafft die Gaspreisbremse Abhilfe?
Aus Weinholds Sicht kommt es deshalb vor allem auf die Ausgestaltung der geplanten Gaspreisbremse an: „Schon 10 bis 15 Prozent Mehrkosten übersteigen den Spielraum von vielen Menschen mit geringen Einkommen“, erklärte der langjährige Berater weiter. Besonders bei jenen, deren Einkünfte für den Bezug von Sozialleistungen knapp zu hoch seien, werde das zum Problem: „Die zehren jetzt alle Reserven auf, aber wenn dann noch Jobverluste oder Kurzarbeit hinzukommen, haben die keine Chance.“
Zugleich illustriert die Erhebung des Bundesamts, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung kaum Geld auf die Seite legen kann: Ein Fünftel lebt von weniger als als 16.300 Euro Nettoeinkommen, ein Wert nicht weit von der bei gut 14.000 Euro liegenden Armutsschwelle entfernt. Bei einem weiteren Fünftel seien es weniger als 22.000 Euro im Jahr. „Neben Menschen, die nicht in der Lage sind zu sparen, gibt es auch solche, die selbst mit höheren Einkommen lieber konsumieren, als zu sparen“, gibt allerdings Markus Grabka, Ökonom am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zu bedenken.
Große Teile der Bevölkerung haben wenig Einkommen
Die Bundesamt-Angaben beziehen sich auf das sogenannte Nettoäquivalenzeinkommen. Ersparnisse, wenn etwa mehrere Personen in einem Haushalt leben, sind herausgerechnet worden. Die Werte sind deshalb deutlich niedriger als bei anderen Einkommensstatistiken – spiegeln zugleich aber besser wider, wie viel Geld verschiedenen Einkommensgruppen tatsächlich zur Verfügung steht.
„Die Daten zeigen, dass große Teile der Bevölkerung mit wenig Einkommen auskommen müssen“, urteilt Bettina Kohlrausch, Direktorin am gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI). Noch einmal werde deutlich, wie wichtig Einführung und Erhöhung des Mindestlohns waren, so Kohlrausch weiter. Allerdings markiere der nur das unterste Ende der Einkommensverteilung, „es ist daher gut, dass Minister Heil ein Paket zur Stärkung der Tarifbindung vorlegen will“.
In der Krise härter getroffen
Zugleich betonte Kohlrausch, dass gerade Menschen mit geringen Einkommen durch aktuelle Krisen besonders belastet würden: Erwerbstätige mit niedrigen Einkommen hätten in der Corona-Krise überdurchschnittlich häufig Einkommen eingebüßt. „Und vor allem Familien mit niedrigen Einkommen müssen aktuell deutlich höhere haushaltsspezifische Inflationsraten tragen als wohlhabende Haushalte“, erklärte Kohlrausch.
Aus ihrer Sicht muss sich nun zeigen, ob die beschlossenen Belastungspakete ausreichen, um den Betroffenen finanzielle Sorgen zu nehmen. Doppelt wichtig wäre das, sowohl für die Betroffenen als auch für die Gesellschaft: „Denn das stärkt auch das Vertrauen in politische Institutionen,“ sagte Kohlrausch.
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