Alkohol und Drogen: Jedes sechste Kind lebt mit süchtigen Eltern
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Eine junge Mutter sitzt hinter leeren Bierflaschen. (Symbolfoto)
© Quelle: Alexander Heinl/dpa
Berlin. Rund drei Millionen Jungen und Mädchen wachsen somit bundesweit mit mindestens einem alkohol- oder drogenabhängigen Elternteil auf, wie der Vorsitzende des Paritätischen Gesamtverbandes, Rolf Rosenbrock, am Montag in Berlin sagte. Die Kinder litten nicht nur an der Krankheit selbst, sondern auch an der Stigmatisierung und Tabuisierung der Erkrankung ihrer Eltern. Langfristig könne dies zu schweren psychischen Störungen führen.
Um dem entgegenzuwirken, will die am Montag gestartete zehnte bundesweite „Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien“ auf das Thema aufmerksam machen. Geplant sind rund 120 Veranstaltungen in mehr als 60 Städten, die auf das Schicksal der betroffenen Kinder hinweisen sollen, wie der Verein Nacoa als Initiator der Aktionswoche mitteilte. Der Verein fordert zudem ein flächendeckendes und regelfinanziertes Hilfesystem für die Kinder. Die Aktionswoche findet zeitgleich auch in den USA, in der Schweiz und in Großbritannien statt.
Kinder suchen Schuld bei sich selbst
Kinder aus Suchtfamilien suchten sich oft keine Hilfe, sagte Rosenbrock. Gründe seien Scham oder Angst vor Konsequenzen: „Stattdessen übernehmen sie Rollen, die weder ihrem Entwicklungsstand noch ihren Kräften entsprechen.“ Als Folge würden sie oftmals selbst abhängig. Zudem seien sie stark gefährdet, eine psychische Krankheit oder soziale Störung zu entwickeln.
Katharina Balmes, Vorstandsmitglied des Hamburger Vereins Sucht(t)- und Wendepunkt, berichtete von einem großen Druck, unter dem die betroffenen Kinder stehen: „Sie kümmern sich oft um ihre jüngeren Geschwister, gehen einkaufen und schmeißen den Haushalt.“ Viele Kinder suchten die Schuld für die Erkrankung der Eltern bei sich selbst: „Sie sind mehr darauf bedacht, wie es den Eltern geht, als wie sie sich fühlen.“
Kinder sind Gewalt ausgesetzt
Besonders in Familien mit Alkoholproblemen ist laut Balmes zudem Gewalt weit verbreitet: „Dabei geht es nicht nur um körperliche Gewalt, sondern auch verbale.“ Manche Kinder zögen sich als Folge zurück, andere würden aggressiv oder spielten den Klassenclown. Nur etwa ein Drittel der Kinder trage keine langfristigen Schäden davon. „Das sind wahrscheinlich die Kinder, die einen stabilen Ansprechpartner außerhalb der Familie hatten“, sagte sie.
Hilfsvereine hätten aber oftmals keine Planungssicherheit, kritisierte Balmes. Grund sei eine unsichere Finanzlage, oftmals müssten sich die Organisationen auf Spenden verlassen. Eine verlässliche Finanzierung sei aber entscheidend, um die Kinder lückenlos betreuen zu können. Generell würde die Situation der Kinder nur bei einem Bruchteil erkannt – wenn sie zum Beispiel zufällig an einen erfahrenen Jugendamtsmitarbeiter geraten: „Etwas so Grundlegendes wie Hilfe sollte aber nicht von Glück abhängen.“
Mehr Öffentlichkeit schaffen
Rosenbrock sagte: „Es ist an der Zeit, dieses stille Leiden öffentlich wahrzunehmen.“ Dabei sei auch die Politik gefragt: Bereits 2017 habe der Bundestag beschlossen, dass Kinder psychisch- und suchtkranker Eltern in Deutschland Hilfe bekommen sollen. Dazu gehörten Aufklärungskampagnen sowie Aus- und Weiterbildungen für Erzieher, Lehrer, Ärzte und Psychotherapeuten. „Wichtig ist, dass nach all den versäumten Jahren endlich Maßnahmen ergriffen werden“, fügte er hinzu.
Alkoholkonsum der Eltern verführt Kinder
Es gibt noch ein weiteres Risiko: Kinder, in deren Familien Drogen konsumiert werden, haben ein großes Risiko später selbst Alkohol- oder Drogenprobleme zu entwickeln. Schon ein übermäßiger Alkoholkonsum der Eltern wirkt sich auch auf das spätere Trinkverhalten der Kinder aus. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT Nord) und des Bundesbildungsministeriums, die im vergangenen Jahr vorgestellt worden war.
Demnach ist das Risiko für Rauschtrinken – also sechs oder mehr Gläser bei einer Gelegenheit – bei Kindern, deren Eltern täglich Alkohol trinken, dreimal so hoch im Vergleich zu Eltern, die keinen Alkohol trinken.
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Von so/RND/epd