Auszeichnungen: Warum so viele Nobelpreise in die USA gehen
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Mehr als 900 Wissenschaftler, Literaten und andere Persönlichkeiten sind bisher mit einem Nobelpreis geehrt worden – viele davon kommen aus den USA. Woran das liegt, erklärt der Physiker Claudius Gros.
© Quelle: Steffen Trumpf/dpa
Hannover. Die Nobelpreisvergabe für Chemie, Physik und Medizin ist durch. Unter den Preisträgern ist wieder mal keine Frau, aber dafür viele Amerikaner. Der Physiker Claudius Gros hat dieses Phänomen in einer Studie untersucht und erklärt es uns im Interview.
Warum gewinnen so viele Amerikaner Nobelpreise?
Amerika ist ja nun mal ein großes Land mit einem sehr produktiven Wissenschaftssystem. Und gerade die Größe des Landes macht viel aus: denn die meisten Nobelpreise pro Kopf haben nicht die USA, sondern Großbritannien, gefolgt von Deutschland und erst dann kommen die Vereinigten Staaten. Ein Grund für die vielen Nobelpreisträger aus Großbritannien könnte übrigens die relativ hohe Dichte an Eliteuniversitäten sein. Manche Länder, die pro Kopf gesehen viele Nobelpreise gewinnen, wie beispielsweise die Schweiz, werden in den Statistiken gar nicht aufgeführt, weil sie einfach zu klein sind.
Anfang des letzten Jahrhunderts waren die USA praktisch bei null, da gab es noch gar keine Nobelpreisträger von dort. Ab den 60er-Jahren haben die Amerikaner allerdings gewaltig zugelegt, das war die produktivste Zeit – jetzt gehen die Zahlen jedoch stetig zurück.
Also wird es in Zukunft weniger Nobelpreisträger aus den USA geben?
Momentan merkt man das noch gar nicht richtig, weil die USA von einem so hohen Niveau kommen. Meine Vorhersage ist aber, dass die USA in zehn Jahren nicht mehr führend sein werden, weil die Produktivität bei den klassischen Nobelpreisen runtergeht. Es geht dabei ja nicht um eine Kurzentwicklung, sondern um eine längerfristige Entwicklung. Das kann meiner Meinung nach zwei Gründe haben. Eine Theorie besagt, dass die Wissenschaften in den USA einfach als nicht mehr wichtig genug angesehen sind. Die andere Überlegung ist, dass die USA flexibel sind und merken, dass es modernere Gebiete wie Computerwissenschaften oder Robotik gibt, wo man viel schneller Fortschritte erreichen kann. In diesen Bereichen gibt es aber nun mal keine Nobelpreise.
Was macht Deutschland also falsch?
Man kann gar nicht unbedingt sagen, dass Deutschland etwas falsch macht – aber richtig auch nicht. Im zeitlichen Verlauf der verliehenen Nobelpreise pro Jahr bemerkt man, dass Deutschland Anfang des letzten Jahrhunderts absolut dominant war und pro Einwohner viel mehr Nobelpreise als alle anderen Länder erhalten hat. Seitdem geht es stetig runter – und die Produktivität ist einfach nie wieder hochgegangen.
Deutschland ist der größte Exporteur für Nobelpreisträger – und die USA importiert viele davon.
Claudius Gros, Physiker
Ein ganz großer Punkt sind die Menschen an sich. Die wirklich guten Leute gehen natürlich dahin, wo es die besten Bedingungen für Forschung gibt. Das macht viel aus, denn es interessiert natürlich weniger, wo der Nobelpreisträger geboren ist, als mehr die Staatsangehörigkeit zur Zeit der Verleihung. Deutschland ist der größte Exporteur für Nobelpreisträger – und die USA importiert viele davon.
Aber warum erhalten so selten junge Menschen Nobelpreise?
Gerade zu diesem Thema gibt es einige Studien, die sich mit der Frage beschäftigt haben. Fakt ist: Junge, mittelalte und ältere Menschen entwickeln alle gute Arbeiten. Die ziehen sich aber oft über das ganze Leben. Das heißt, die Menschen sind nicht unbedingt alt, wenn sie die Idee für eine Arbeit haben – bei der Verleihung des Nobelpreises dann aber schon.
Und warum erhalten so wenige Frauen in den naturwissenschaftlichen Kategorien Nobelpreise?
Ich beschäftige mich mit der Frauen-Männer-Frage in diesem Bereich tatsächlich viel, da meine Frau exakt den gleichen Beruf hat wie ich. Warum es so viele Männer gibt, die gerade im Bereich der Physik Nobelpreise bekommen, kann man aber nicht sagen, da gibt es schlicht keine Erklärung für.
Natürlich muss man die früheren Zeiten herausrechnen. Frauen durften sich früher ja an der Forschung meistens gar nicht beteiligen. Das Beispiel Marie Curie darf man da gar nicht bedenken, die eine absolute Ausnahme war und unglaublich viel Power hatte.
Man würde vermuten, dass es an irgendeinem Unterschied zwischen Frauen und Männern liegt. Es gibt viele Studien, die versuchen zu erklären, worin diese Unterschiede bestehen könnten. Es gibt ein Gebiet, wo sich alle Forscher einig sind, dass es wirklich substanzielle Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, und das ist die Risikobereitschaft. Wobei Risiko gar kein negativer, sondern ein neutraler Begriff ist.
In der Forschung muss man manchmal ein Hochrisikoprojekt angehen. Die meisten scheitern – von denen hört man nichts. Und die anderen, die kriegen dann halt einen Nobelpreis.
Claudius Gros, Physiker
Früher war es sicher so, dass Frauen sich Physik oft nicht zugetraut haben, aber das ist heute nicht mehr so. Aber diese Risikobereitschaft kann natürlich auf viele Lebensbereiche Einfluss haben. Gerade in der Forschung muss man natürlich manchmal ein Hochrisikoprojekt angehen. Die meisten scheitern – von denen hört man nichts. Und die anderen, die kriegen dann halt einen Nobelpreis.