Deutscher Nobelpreisträger Genzel: „... dann sagt jemand auf der anderen Seite: ,This is Stockholm‘“
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Reinhard Genzel, Astrophysiker am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, feiert seinen Nobelpreis für Physik.
© Quelle: Matthias Balk/dpa
Der deutsche Astrophysiker Reinhard Genzel erhält den diesjährigen Physik-Nobelpreis. Genzel und die Amerikanerin Andrea Ghez werden für die Entdeckung eines supermassiven kompakten Objekts im Zentrum der Milchstraße ausgezeichnet, wie die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften am Dienstag bekannt gab. Sie teilen sich den Preis mit dem Briten Roger Penrose.
Der 1952 in Bad Homburg vor der Höhe geborene Genzel ist Direktor des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland konnte den Nobelpreisträger kurz nach der Bekanntgabe der Nobelpreise telefonisch sprechen.
Herr Professor Genzel, herzlichen Glückwunsch zum Nobelpreis.
Danke schön.
Wie hat Sie diese Nachricht ereilt und wie haben Sie darauf reagiert?
Ich war hier in meinem Büro, es ist ein normaler Arbeitstag, natürlich. Ich war wie üblich dieser Tage in der Pandemie in einem virtuellen Arbeitsraum mit 20 anderen, um dort Beschlüsse zu fassen – und dann kam der Anruf, er war sehr stereotypisch, so wie man es von Kollegen gehört hat. Das Telefon klingelt, man nimmt es ab und dann sagt jemand auf der anderen Seite: "This is Stockholm.” Da hat‘s ein bisschen gedauert, bis die Verbindung zustande kam, und ich hatte wirklich im Moment das Gefühl: “Mein Gott, in diesem Jahr passiert aber auch alles komisch.” Erst sitzen wir seit über einem halben Jahr sozusagen in einem Vakuum – und jetzt ruft mich jemand aus Stockholm an. Es ist unglaublich, ich bin natürlich wahnsinnig aufgeregt – das ist eine tolle Sache.
Könnten Sie kurz umreißen, wofür Sie den Nobelpreis erhalten haben?
Letztendlich geht es bei dem Preis in diesem Jahr – so wie bei dem vor drei Jahren für die Gravitationswellen – um die Bestätigung der Allgemeinen Relativitätstheorie. Die ist ja vor 105 Jahren von Albert Einstein veröffentlicht worden. Es war erst mal praktisch nicht klar, wie sie sich auswirken würde. Es gab einige Vorhersagen, aber dann kamen als Folge dieser Theorie die schwarzen Löcher auf. Das ist zunächst eine abstruse Vorstellung, und bezüglich einer experimentellen Verifikation war nicht viel möglich. Es hat wirklich 100 Jahre gedauert, bis diese heutige Stufe erreicht worden ist. Und jetzt geht es Schlag auf Schlag.
Sie haben die Existenz eines massiven schwarzen Loches im Zentrum unserer Galaxie nachgewiesen. Das heißt, Sie haben das Unsichtbare sichtbar und das Unmessbare messbar gemacht?
Na ja, wenn man – wie wir das jetzt getan haben – 30 Jahre lang experimentell immer höhere Berge besteigt, dann wird das Ganze irgendwann einmal vollkommen verständlich. Die schwarzen Löcher sind schwarz, weil Licht nicht entkommen kann, aber dennoch können sie auch sehr stark strahlen, wenn denn Materie einstrahlt. Auf diese Art und Weise sind sie in den 1960er-Jahren auch zur Mode geworden, weil die Quasare – das sind akkretierende (Anm. d. Redaktion: Akkretion: gravitationsbedingte Massenzunahme durch Aufsammeln von Materie bei Sternen und Ähnlichem), schwere schwarze Löcher – eben immens hell sein können.
Die Art und Weise, wie wir das Unsichtbare sichtbar gemacht haben, wie Sie gerade gesagt haben, ist, dass wir die Schwerkraft selbst benutzen, indem wir Objekte wie Sterne oder Gas, die um diese Objekte herum kreisen, hernehmen, präzise vermessen und schauen, ob dies wirklich mit Newton, Kepler und so weiter vereinbar ist. Oder ob es Abweichungen sind, wie wir sie in den vergangenen zwei Jahren gesehen haben, die nur mit der Allgemeinen Relativitätstheorie erklärt werden können. Das heißt also, diese Messungen reichen dann aus, auch unsichtbare Dinge sichtbar zu machen.
Das heißt, wenn man diesen Berg erst mal erklommen hat, hat man auch eine weite Sicht auf die Dinge?
Das ist sicherlich so, das will man ja. Das ist ja die Schönheit der naturwissenschaftlichen Forschung, die ja in unserem Fall relativ wertfrei ist und es erlaubt, auf die Dinge zu schauen, die man nicht vermutet hätte.
Wie geht es jetzt wissenschaftlich weiter mit Ihnen?
Unsere Messungen sind keinesfalls am Ende angekommen. Wir werden in den nächsten fünf bis zehn Jahren bei der Europäischen Südsternwarte (Anm. d. Redaktion: ein europäisches Forschungsinstitut, das Teleskope in Chile betreibt) ein noch größeres Teleskop haben, das nicht mehr acht Meter im Durchmesser ist, sondern 40 Meter, und somit noch präziser messen kann. Damit kann man den Schwierigkeitsgrad der Messung immer mehr steigern und auch weiter hinausschauen. In etwa 15 oder 20 Jahren hofft die Europäische Raumfahrtorganisation Esa ein Weltraumexperiment in den Weltraum zu schießen, das nennt sich Lisa, mit dem man dann die Gravitationswellenstrahlung von massiven schwarzen Löchern messen kann, die gerade zufälligerweise einen kleinen Stern verschlucken. Das ist in diesem Sinne das ultimative Experiment – ich werde es nicht mehr erleben, aber es wird eine tolle Sache sein.
Dann ist der Nobelpreis jetzt das Sahnehäubchen auf Ihre Forscherkarriere.
Da haben Sie recht. Das Tolle ist ja, dass ich hier bei der Max-Planck-Gesellschaft in einem Paradies bin. Ohne die Gesellschaft und was sie für mich getan hat, auch meine Gruppe über all die Jahre, wäre das alles nicht möglich gewesen.