Faktencheck

Spart die Zeitumstellung Energie und verwirrt den Biorhythmus?

Es ist Winterzeit: Im Oktober werden die Uhren um eine Stunde zurückgestellt.

Es ist Winterzeit: Im Oktober werden die Uhren um eine Stunde zurückgestellt.

Berlin. Eigentlich sollte sie schon längst abgeschafft werden. Doch auch an diesem Sonntag, dem 27. März wurde den Bürgern wieder eine Stunde Schlaf „gestohlen“. Dafür bleibt es jetzt länger hell. Seit 1996 werden in der Europäischen Union im März und Oktober die Uhren umgestellt. In Deutschland gibt es die Sommerzeit schon seit 1980.

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Ursprünglich sollte dank einer besseren Ausnutzung des Tageslichts Energie gespart werden. Das EU-Parlament plädierte in einer Umfrage jedoch für eine Abschaffung der Zeitumstellung. Dieses soll in 2021 der Fall sein, so lautet der Beschluss. Tatsächlich könnte es sich sogar noch länger hinziehen. Denn für die tatsächliche Abschaffung müsste noch ein Kompromiss mit den Mitgliedstaaten erzielt werden.

Zu welchen Problemen eine äußerst kurzfristige Entscheidung zur Abschaffung der Zeitumstellung führen kann, zeigt Marokko. Am Freitag (schon im Oktober 2018) hatte die Regierung beschlossen, die für den folgenden Sonntag geplante Zeitumstellung abzuschaffen. Uhren auf Computern und Smartphones wurden am Sonntag aber trotzdem automatisch um eine Stunde zurückgesetzt. Die staatliche Fluggesellschaft Royal Air Maroc hatte zuvor angekündigt, dass künftig alle Flüge von Marokko aus mit einstündiger Verspätung starten würden. Der marokkanische Bildungsminister Saaid Amzazi kündigte am Wochenende an, dass die Stundenpläne der neuen Zeit angepasst werden und Schüler künftig bereits um 8 Uhr statt um 9 Uhr in die Schule gehen müssten.

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Aber was macht eine Zeitstellung eigentlich mit uns und unserem Umfeld?

Behauptung: Die Sommerzeit hilft dabei, Energie zu sparen.

Bewertung: Weitgehend falsch

Fakten: Es gibt keinen Nachweis, dass in relevantem Maß Energie gespart würde. Das Umweltbundesamt etwa argumentiert: „Zwar wird durch die Zeitumstellung im Sommer tatsächlich abends weniger häufig das Licht angeknipst – im Frühjahr und Herbst jedoch wird in den Morgenstunden auch mehr geheizt. Das hebt sich gegenseitig auf.“

Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag kommt zu dem Schluss, dass sich „bestenfalls nur sehr geringfügige Energieeinsparungen realisieren lassen“. Eine Auswertung von Studien aus verschiedenen Ländern habe 2016 mögliche Veränderungen in den Bereichen Stromverbrauch und Raumwärme von nicht mehr als einem Prozent ergeben. Auch eine Befragung bei rund 700 Unternehmen und Verbänden der deutschen Energiewirtschaft ergab kein anderes Ergebnis.

Die Wirtschaftswissenschaftler Korbinian von Blanckenburg und Julian Strauch haben anhand einer Analyse der Daten zweier Netzbetreiber in Kassel und Kempten errechnet, dass das derzeit geltende System der Zeitumstellung nur zu einer Einsparung von 0,78 Prozent beim Stromverbrauch privater Haushalte führt.

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Behauptung: Die Zeitumstellung bringt unseren Biorhythmus durcheinander.

Bewertung: Teils richtig

Fakten: Es gibt wissenschaftliche Anhaltspunkte dafür, dass die Anpassung des Biorhythmus besonders im Frühjahr nicht so einfach ist. Die Krankenkasse DAK etwa hat in einer Langzeitbeobachtung festgestellt, dass in den ersten drei Tagen nach der Zeitumstellung 25 Prozent mehr Patienten mit Herzbeschwerden ins Krankenhaus kamen als im Jahresdurchschnitt.

Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages zitierten 2014 Studien aus Schweden und den USA, die ein leicht erhöhtes Infarktrisiko nach der Zeitumstellung im Frühjahr belegten. Eine australische Studie zeigte einen Zusammenhang zwischen Zeitumstellung und Suizidrate: Auch kleine Veränderungen im Biorhythmus könnten demnach bei gefährdeten Menschen destabilisierend wirken.

In einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der DAK (2018) wiederum gaben 72 Prozent der Befragten an, sie können sich nicht erinnern, dass ihnen die Zeitumstellung schon einmal Probleme bereitet hätte.

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Behauptung: Man braucht Wochen, um sich von der Zeitumstellung zu erholen.

Bewertung: Teils richtig

Fakten: Wissenschaftler beschäftigen sich seit Langem mit den gesundheitlichen Auswirkungen des Uhren-Drehens - vor allem mit der Umstellung auf die Sommerzeit. Bis vor gut zehn Jahren kamen so gut wie alle Studien zu dem Ergebnis: Probleme wie Schlafstörungen seien spätestens innerhalb von ein bis zwei Wochen behoben. In der jüngeren Forschung gibt es jedoch Hinweise, dass sich der biologische Rhythmus bei manchen Menschen etwas langsamer harmonisiert - so eine Meta-Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag aus dem Jahr 2016.

Der Zeitsprung unterbricht die Anpassung an die jahreszeitlich bedingten Veränderungen. „Durch die Umstellung wird man gezwungen, das Aufwachen um eine Stunde vor oder nach hinten zu verschieben. Deshalb gerät die Harmonie zwischen dem Äußeren und der inneren Uhr durcheinander“, erklärt Gregor Eichele. Der Leiter der Abteilung Gene und Verhalten am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie beschäftigt sich damit, wie Moleküle den biologischen Rhythmus beeinflussen. Die Stunde Verschiebung werde besonders von den Menschen bemerkt, die einen regelmäßigen Schlafrhythmus hätten, so Eichele. Die innere Uhr des Menschen lässt viele Prozesse in Zyklen von rund 24 Stunden ablaufen - etwa Veränderungen der Körpertemperatur und des Blutdrucks, die Ausschüttung von Hormonen sowie den Schlaf-Wach-Rhythmus.

Behauptung: Von einer dauerhaften Sommerzeit wären Schüler und Studenten besonders hart betroffen.

Bewertung: Richtig

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Fakten: Nach Umstellung auf die permanente Sommerzeit würde es im Winter morgens eine Stunde später hell. Mediziner weisen darauf hin, dass Menschen das blaue Licht der Sonnenstrahlung brauchen, um wach zu werden. Alfred Wiater, der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM), sagte dazu dem Deutschen Ärzteblatt, die Serotoninausschüttung werde durch Licht stimuliert – „so werden wir morgens wach und munter“.

Der Münchner Chronobiologe Till Roenneberg sieht besonders viele Teenager betroffen. Ihr typischer Biorhythmus verschiebe ihre Innere Uhr und mache sie zu Langschläfern. Schon der Schulstart um 08.00 Uhr morgens sei für sie vergleichbar mit einem Arbeitsbeginn um 04.00 Uhr bei Erwachsenen. „Das sollen sich einfach mal Erwachsene vor Augen führen, (...) wie aufmerksam sie dann sind und wie gut sie dann lernen können“, so Roenneberg in einem Podcast seiner Universität. Die Zeitumstellung verschärfe dieses Problem noch: „Die Diskrepanz zwischen dem, was die Innere Uhr leben möchte, und dem, was wir leben müssen, (...) wird um eine Stunde noch vergrößert - mit allen Konsequenzen: Schlafmangel, mehr rauchen, mehr unter Stress stehen usw.“

Auch der Deutsche Lehrerverband hält eine dauerhafte Umstellung auf Sommerzeit für unverantwortlich. Eine solche Regelung würde nach Aussage von Verbandschef Heinz-Peter Meidinger dazu führen, „dass über zehn Millionen Schülerinnen und Schüler in Deutschland zwei Monate länger bei absoluter Dunkelheit ihren morgendlichen Schulweg antreten müssten, was nicht zuletzt auch die Unfallhäufigkeit in die Höhe treiben würde“.

Behauptung: Eine dauerhafte Winterzeit kommt den natürlichen Verhältnissen am nächsten.

Bewertung: Stimmt mit Einschränkungen

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Fakten: „Natürlich“ wäre es, wenn die Sonne punkt 12 Uhr mittags ihren Zenit erreichen würde – das entspricht der „Sonnenzeit“. So ist es beispielsweise im Winter in Görlitz, am östlichsten Zipfel Deutschlands. Die Stadt liegt genau auf dem 15. Längengrad, sie ist deshalb idealtypisch für die Berechnung der „Normalzeit“ – der Mitteleuropäischen Zeit MEZ – in Deutschland. Schon in Hamburg oder Dortmund stimmen Sonnen- und Uhrzeit aber nicht mehr überein, weil sie deutlich westlicher liegen.

Die Zeitzonen orientieren sich an der Koordinierten Weltzeit (UTC). Dafür wird der Erdball, ausgehend vom Nullmeridian in Greenwich bei London, gedanklich in 24 Zonen mit einer Breite von je 15 Längengraden eingeteilt. Von einer dieser Zonen zur nächsten beträgt der Zeitunterschied jeweils eine Stunde.

In der Realität werden die Umrisse der Zeitzonen von politischen Grenzen und geografischen Gegebenheiten verzerrt. MEZ etwa gilt in Europa von der Atlantikküste bis an die polnische Ostgrenze. Das führt dazu, dass die Sonne in Spanien den höchsten Stand erst gegen 13 Uhr erreicht, in Polen schon gegen 11 Uhr. Den „natürlichen“ Verhältnissen entspricht die dauerhafte Winterzeit also nur in einem kleinen Teil Europas.

RND/dpa

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