Unsere Außenposten im All

ISS und Tiangong: Was unterscheidet die beiden Raumstationen voneinander?

Dieses im Pekinger Raumfahrtkontrollzentrum aufgenommene Videostandbild zeigt, wie der chinesische Astronaut Liu Boming aus dem Kernmodul der Raumstation „Tiangong" aussteigt.

Dieses im Pekinger Raumfahrtkontrollzentrum aufgenommene Videostandbild zeigt, wie der chinesische Astronaut Liu Boming aus dem Kernmodul der Raumstation „Tiangong" aussteigt.

Berlin. Himmelspalast heißt die neue chinesische Raumstation Tiangong in der deutschen Übersetzung. Was sich nach einem übermäßig großen Außenposten der Menschheit anhört, entpuppt sich im Vergleich zur Internationalen Raumstation ISS als kleineres Modell. Die ISS ist sozusagen der große erfahrene Veteran im Orbit der Erde, Tiangong dagegen der kompakte und brandneue Jungspund.

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Warum China nicht bei der ISS mitmacht

Im Jahr 2011 wurde China von der ISS ausgeschlossen. Die USA untersagten ihrer Raumfahrtbehörde Nasa wegen nationaler Sicherheitsbedenken eine weitere Zusammenarbeit mit den chinesischen Partnern. An der Internationalen Raumstation, die seit Ende 1998 im Orbit schwebt und seit Ende 2000 permanent besetzt ist, beteiligen sich fünf Raumfahrtbehörden aus 15 Ländern in einer Partnerschaft.

Das asiatische Riesenreich intensivierte das eigene, 1992 gestartete bemannte Raumfahrtprogramm. Tiangong ist dabei nicht die erste Raumstation. Tiangong-1 war der erste Prototyp, der von 2011 bis 2018 die Erde umkreiste, gefolgt von Tiangong-2 (2016 bis 2019).

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„Die Chinesen sehen sich als eine große Raumfahrtnation“, erklärt Ulrich Walter, Leiter des Lehrstuhls für Raumfahrttechnik an der TU München. „Sie investieren viel Geld, können es sich leisten, haben einen klaren Plan und bisher alles umgesetzt“, bilanziert der ehemalige Wissenschaftsastronaut.

So groß sind die Raumstationen

Bei einem Vergleich der Außenmaße zeigt sich: Die ISS ist etwa viermal so groß wie Tiangong. In der Traverse, also der Hauptachse der zusammengesetzten Module, kommt die ISS nach Angaben der Nasa auf eine Länge von 94 Metern. Dazu erreicht die Raumstation bei den Solarmodulen eine Spannweite von 109 Metern. Damit nimmt die ISS etwas mehr Fläche als ein übliches Fußballfeld ein.

Größer als ein Fußballfeld: die Internationale Raumstation (ISS).

Größer als ein Fußballfeld: die Internationale Raumstation (ISS).

Die drei Kernmodule von Tiangong sind zusammen etwa 53 Meter groß, in ihrer Hauptachse erreicht die Raumstation ein Länge von bis zu 37 Metern. Die Solarmodule kommen auf eine Spannweite von 55 Metern. Hinsichtlich der räumlichen Ausdehnung ist Tiangong mit einem Durchmesser von etwa 39 Metern wesentlich kleiner und kompakter – also etwa ein Viertel eines Fußballfeldes.

ISS besteht aus mehr Forschungsmodulen

Beide Raumstationen sind in Modul-Bauweise aufgebaut und haben eine helle Außenhülle. Der Grund: Angesichts der wesentlich stärkeren Lichtintensität als auf der Erde sollen sie sich nicht so schnell aufheizen, erklärt Raumfahrtexperte Walter.

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Die etwa 420 Tonnen schwere ISS besteht mittlerweile aus 39 Einzelmodulen der teilnehmenden Länder – 2021 kamen zwei aus Russland dazu. Diese Module wurden seit 1998 in den Orbit gebracht, dort verbunden und damit die Raumstation in fast 25 Jahren fortlaufend vergrößert. Durch die vielen beteiligten Nationen komme die ISS auf „wesentlich mehr Forschungsmodule – das ist der Unterschied“, erläutert Ulrich Walter.

Tiangong bekommt 2023 ein Weltraumteleskop

Wesentlich schneller ging der Aufbau der mittlerweile auf gut 100 Tonnen angewachsenen Raumstation Tiangong voran. Sie besteht im Kern aus nur drei großen Modulen, die für den Menschen begehbar sind. Das etwa 17 Meter lange Kernmodul Tianhe (auf Deutsch: himmlische Harmonie) startete Ende April 2021 in den Orbit. Dazu kamen dieses Jahr die je etwa 18 Meter langen Forschungslabore Wentian (Himmelsbefragung, Ende Juli 2022) und Mengtian (Himmelstraum, Ende Oktober 2022).

Im Dezember 2023 soll die Station schließlich um das Weltraumteleskop Xuntian (Himmelsdurchmusterung) erweitert werden, das frei fliegt und nur zeitweise an Tiangong angedockt sein wird. Es soll mit einem Spiegel mit zwei Meter Durchmesser fremde Galaxien erforschen.

Die ISS, ein Haus mit sechs Schlafzimmern

Bei der ISS gibt es auf rund 67 Metern in der Hauptachse Wohn- und Arbeitsmodule, die eine künstliche Atmosphäre bieten. Das heißt: Die Astronautinnen und Astronauten können die unter Druck stehenden Module betreten, ohne Raumanzüge tragen zu müssen. Zu diesen Modulen zählen unter anderem Sarja, Poisk, Destiny und Columbus.

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Auf der ISS sind derzeit sieben Astronauten. Im Jahr 2009 waren gleichzeitig 13 zu Gast. Ihnen stehen theoretisch insgesamt 1005 Kubikmeter an Raum zum Leben zur Verfügung. Weil aber viel Platz für Ausstattung und Vorräte benötigt wird, bleibt laut Nasa ein bewohnbares Raumvolumen von 388 Kubikmetern übrig.

Wenn man eine in Deutschland gängige Raumhöhe von 2,50 Metern zugrunde legt, wären das etwa 155 Quadratmeter an Wohnfläche für alle Forschenden an Bord. Die US-Raumfahrtbehörde vergleicht die Innenausstattung der ISS mit einem Haus mit sechs Schlafzimmern. Es gibt zwei Bäder, ein Fitnessstudio und den Cupola genannten phänomenalen 360-Grad-Ausblick.

Tiangong: kleiner, aber mit genauso vielen Forschungsmöglichkeiten

Ein solches gigantisches Fenster zur Außenwelt kann Tiangong nicht bieten. Die Raumstation der Chinesen „ist zwar kleiner, aber noch nicht so überfüllt mit nachgerüsteter Technik“, berichtet Tino Schmiel, der an der Technischen Universität Dresden das Forschungsfeld „Satellitensysteme und Weltraumwissenschaften“ leitet.

China schickt weiteres Labor-Modul zur neuen Raumstation
31.10.2022, China, Wenchang: Eine Trägerrakete von Typ Langer Marsch 5B-Y4 startet mit Chinas Raumstations-Labormodul «Mengtian» am Weltraumbahnhof in der südchinesischen Provinz Hainan. China hat das dritte und damit vorerst letzte Modul für seine im Bau befindliche Raumstation «Tiangong» (Himmelspalast) ins All geschickt. Wie im chinesischen Staatsfernsehen zu sehen war, hob das Modul «Mengtian» am Montag vom Weltraumbahnhof Wenchang auf der Tropeninsel Hainan ab. Foto: Guo Zhongzheng/XinHua/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Mit dem Projekte der bemannten Raumstation „Tiangong“ unterstreicht China unter anderem die Ambition, zur Weltraummacht aufsteigen zu wollen.

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Tiangong bietet im Gegensatz zur ISS sowohl insgesamt (320 Kubikmeter) als auch beim bewohnbaren Raumvolumen etwa ein Drittel des Platzes. Die rund 130 Kubikmeter, in denen sich die Astronauten frei bewegen können, sind etwas mehr Volumen als ein üblicher Gelenkbus im Inneren bietet. Bei einer Raumhöhe von 2,50 Metern stehen den im Normalfall drei Astronauten etwa 52 Quadratmeter zur Verfügung.

Bei einer Rotation der Crew sind allerdings für kurze Zeit sechs Gäste an Bord, die sich sozusagen den Platz in einer Zwei-Zimmer-Wohnung teilen. Das 17 Meter lange Kernmodul Tianhe enthält drei separate Schlafabteile mit Toilette und Dusche. In den zwei Laboren wird wissenschaftlich gearbeitet, denn darum geht es den Chinesen laut Ulrich Walter in erster Linie: „Forschung in der Schwerelosigkeit.“

Beide Raumstationen umrunden Erde in gleicher Geschwindigkeit

Auf den ersten Blick scheinen beide Raumstationen sehr ähnlich unterwegs zu sein. Sowohl die ISS als auch Tiangong bewegen sich zur Zeit auf einer Höhe von etwa 390 Kilometern um die Erde. Das kontinuierliche Absacken durch den Restluftwiderstand muss bei beiden durch Antriebe ständig ausgeglichen werden.

Beide rasen mit einer Geschwindigkeit von etwa 7,7 Kilometern pro Sekunde durch den Orbit. Das sind rund 28.000 Kilometer pro Stunde. Das heißt: Beide brauchen etwa 90 Minuten, um die Erde einmal zu umrunden. Die ISS legt nach Angaben der Nasa an einem Tag eine Strecke zurück, die mit Hin- und Rückreise zum Mond vergleichbar ist – also 384.400 Kilometer mal zwei.

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Mysteriöses Miyake-Ereignis: Wie kommt es zu den unerklärlichen Ausbrüchen kosmischer Strahlung?

Alle tausend Jahre kommt es auf der Erde zu einem starken Anstieg kosmischer Strahlung. Bisher ist unklar, was dieses Phänomen verursacht – und wie es sich in der heutigen Zeit auswirken würde. Eine neue Studie hat nun ergeben, dass die Strahlungsausbrüche sich nicht durch Sonnenstürme erklären lassen wie zunächst angenommen.

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Erdbeobachtung auf der Tiangong ist eingeschränkter

Deutliche Unterschiede gibt es dagegen bei der Neigung, mit der die beiden Raumstationen um die Erde düsen. „Die Bahn, auf der Tiangong fliegt, ist zum Äquator weniger geneigt als die der ISS“, erklärt Raumfahrt-Experte Schmiel.

Das heißt: Tiangong kann im Gegensatz zur ISS weniger von nördlichen und südlichen Teilen der Erde sehen. „Damit ist die Erdbeobachtung eingeschränkter. Auch die Weltraumumgebung lässt sich weniger gut vermessen“, sagt Schmiel. Hintergrund ist, dass China damit auf dem Weg zur Station Energie spart, „da ihre Startplätze sowieso nicht bei hohen Breitengraden liegen“, so der Experte aus Dresden.

ISS hält bei den Gesamtkosten einen Weltrekord

Im Herbst 2023 werden sich Teile der Internationalen Raumstation schon 25 Jahre lang durch das All bewegt haben. Die ISS nähert sich somit dem Ende ihres Lebenszyklus. Obwohl die Raumstation immer wieder mit technischen Problemen zu kämpfen hat – zuletzt gab es ein Leck an der russischen Sojus-Kapsel – wird die Laufzeit verlängert.

Nach ersten Plänen sollte schon 2020 Schluss sein, dann wurde daraus 2024. Zurzeit bekennen sich die USA, Europa und Japan zu einer Nutzung bis 2030. Zuletzt gab die Nasa bekannt, man wolle die ISS im Januar 2031 kontrolliert im Südpazifik abstürzen lassen. Dann könnte viel Geld sprichwörtlich im Meer versenkt werden: Die Gesamtkosten des laut Guinness-Buch der Rekorde „teuersten vom Menschen erschaffenen Objekts“ werden auf bis zu 150 Milliarden US-Dollar beziffert.

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Raumfahrtexperte: Tiangong ist „technisch absolut up-to-date“

Weil der unter Druck stehende Innenraum (Pressurized volume) bei der ISS dreimal größer ist als bei Tiangong, schätzt Ulrich Walter die Baukosten der chinesischen Station „grob auf ein Drittel“. Genaue Zahlen gibt es seitens der Chinesen zwar nicht, aber auch Tino Schmiel schätzt den Kostenaufwand als „viel geringer“ ein.

Bei Tiangong profitieren die Chinesen zudem von der russischen Raumstation Mir, die ähnlich groß war. „Die Technik der Chinesen basiert auf der Technik der Russen“, erklärt Walter und verweist auf eine Kooperation der Länder zu Beginn der 1970er Jahre. Und auch ein weiterer Faktor drücke wohl den Preis: „Es gibt viel weniger Abstimmungsaufwand als bei der ISS“, sagt Schmiel. „Die Material- und Personalkosten sind vermutlich auch geringer.“

ARCHIV - 17.11.2016, Frankreich, Kourou: HANDOUT - Eine Ariane 5 Rakete startet in Französisch-Guyana. Am Oberlandesgericht München startet ein Prozess gegen einen Wissenschaftler, der Infos über die Ariane-Raketen an den russischen Geheimdienst weitergegeben haben soll.     (zu dpa "Mutmaßlicher russischer Raketenspion vor Gericht") Foto: S Martin/ARIANESPACE/epa/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++

Wie massiv Raketenstarts Atmosphäre und Klima belasten

Raketen sind keine Flugzeuge – auch nicht mit Blick auf ihre Klimawirkung: Rußpartikel etwa wirken weiter oben wesentlich heftiger als in Erdnähe. Entsprechend verheerend könnte sich der Weltraumtourismus auswirken, den Firmen wie SpaceX und Virgin Galactic anstreben. Aber auch die Astrowissenschaft muss umdenken.

Trotz geringerer Kosten ist Tiangong nach Worten des Dresdner Raumfahrt-Experten „technisch absolut up-to-date“. Auf der ISS gelinge das nur durch umfangreiche Nachrüstungen mit neuer Technik, was auch nur einschränkt möglich sei. Schmiel veranschaulicht: „Das ist wie beim Kauf eines neuen Autos.“ Als Beispiel nennt er die Datenübertragung zwischen Experimenten und Boden hinsichtlich Sensorik, Kodierung, und Datenaufbereitung.

„Jede neue und oftmals komplexere Technik muss in der Anwendung reifen“, erklärt Schmiel. „Und wenn die Dinge einmal funktionieren, sollte man die Finger davon lassen“, spricht der ehemalige Wissenschaftsastronaut Walter aus Erfahrung. Die ISS konnte in ihrer Lebensdauer mehr als 3000 Experimente beherbergen. Ob die 1000 Experimente klappen, die China auch unter Mithilfe westlicher Forschenden auf der Tiangong plant, wird die Zeit zeigen.

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RND/dpa

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