Neue Hilfe? Wie Ketamin gegen Depressionen wirkt
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Bei der Behandlung schwerer Depressionen zeigte Ketamin, teilweise in nur wenigen Stunden, eine deutliche Verbesserung.
© Quelle: picture alliance
New York. Der schon lange als Narkosemittel und illegale Partydroge eingesetzte Arzneistoff Ketamin gilt als Hoffnungsträger bei der Behandlung schwerer Depressionen. Anfang März hat die US-Arzneimittelbehörde FDA erstmals eine Ketamin-ähnliche Substanz des Pharmakonzerns Johnson & Johnson gegen schwer zu behandelnde Depressionen zugelassen. Das Nasenspray darf bei Patienten eingesetzt werden, die zuvor erfolglos mit mindestens zwei herkömmlichen Antidepressiva behandelt wurden. Auch für die EU sei der Antrag bereits gestellt, bis zu einer Zulassung könne es aber noch dauern, sagt der Psychiater Malek Bajbouj von der Charité Berlin.
Dornenfortsätze bildeten sich neu
An Mäusen haben Forscher erkundet, wie Ketamin im Gehirn wirkt. Es sorge für die verstärkte Bildung bestimmter Vorwölbungen auf Nervenzellen, Dornenfortsätze oder Dendritische Dornen genannt, berichtet das Team im Fachmagazin "Science". Diese beeinflussen die Signalübertragung zwischen Nervenzellen. Bei Depressiven herrscht ein Mangel an diesen Fortsätzen.
Patienten müssen nach der Verabreichung für einige Stunden im Blick behalten werden, weil die Substanz halluzinogen wirkt – nicht umsonst wird Ketamin unter dem Namen „Special-K“ weit verbreitet als Partydroge genutzt. Menschen erleben im Ketamin-Rausch oft Halluzinationen oder dissoziative Zustände, bei denen sich Körper und Geist zu trennen und wieder neu zusammenzusetzen scheinen.
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Ketamin wirkt schneller als herkömmliche Mittel
Der große Vorteil der Substanz bei der Behandlung von Depressionen sei die mögliche schnelle Wirkung, erklärt Bajbouj. Mehr als 150 Patienten wurden an der Charité im Rahmen von Studien und Heilversuchen bereits damit therapiert. Bei etwa einem Drittel habe sich binnen Stunden bis Tagen ein Effekt gezeigt – bei herkömmlichen Antidepressiva vergehen meist mehrere Wochen. Bei Betroffenen mit einer langen, schweren Depression schlage Ketamin allerdings häufig nicht an, vor allem, wenn diese zusätzlich Abhängigkeiten oder Angststörungen hätten.
Vielversprechend sei der Arzneistoff aber wenn es darum gehe, akute Depressionen rasch abklingen zu lassen – auch Suizidgedanken könnten bei einem Teil der Patienten schnell gebannt werden, sagt Bajbouj. Der Effekt hält allerdings nicht selten nur einige Tage an. Ketamingaben würden daher üblicherweise wiederholt. In welcher Frequenz und über welchen Zeitraum dies sinnvollerweise geschehe, müsse noch erforscht werden.
Ketamin liefert Grundlagen für neue Behandlungsmethoden
Das langfristige Ziel sei, Rückfälle zu verhindern, so der Mediziner. Die in „Science“ präsentierte Studie liefere wichtige Grundlagen für Ansätze dafür. Demnach sind intakte Dornenfortsätze entscheidend für einen anhaltenden antidepressiven Effekt. Dieses Wissen sei wichtig für die Entwicklung innovativer Strategien für Patienten mit behandlungsresistenten Depressionen.
Die Forscher um Conor Liston und Rachel Moda-Sava vom Weill Cornell Medical College der Cornell University in New York hatten für ihre Studie Mäuse verwendet, die Depressions-typische Symptome zeigen. Die Tiere wurden dafür unter dauernden Stress gesetzt oder bekamen über Wochen das Stresshormon Corticosteron verabreicht. Bekamen sie Ketamin verabreicht, spross zumindest ein Teil der Fortsätze wieder und die Depressions-Symptome schwanden. Wahrscheinlich werde mit den Dornen die ursprüngliche Kommunikation zwischen den Nervenzellen weitgehend wiederhergestellt, vermuten die Forscher. Allerdings blieben nur 45 Prozent der Fortsätze mindestens vier Tage erhalten, der Rest ging rasch wieder verloren.
Ursache der schnellen Wirkung noch offen
Das könne die beobachtete plötzliche Rückkehr depressiver Symptome eine Woche nach einer Behandlung mit Ketamin erklären, so die Forscher. Sie sehen es deshalb als vielversprechenden Weg gegen Depressionen an, den Verfall der Fortsätze mit speziellen Therapien langfristig zu unterbinden. „Wir müssen einen Ansatz dafür finden, die erzielten Veränderungen im Gehirn stabil zu erhalten“, betont auch Bajbouj, der nicht an der US-Studie beteiligt war.
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Zu klären sei nach der aktuellen Studie noch, ob sich die Dornenfortsätze nach der Gabe herkömmlicher Antidepressiva so rasch wie bei Ketamin-Gabe bilden, sagt Bajbouj. „Falls dem so ist, würde das bedeuten, dass andere Faktoren für die schnelle Wirkung von Ketamin entscheidend sind.“
Rausch als Therapie?
In den USA bieten bereits ungezählte Kliniken und Privatpraxen ihren Patienten schon länger den leichten Rausch als Therapie an – bisher ohne offizielle Genehmigung der Arzneimittelbehörde. In New York gebe es inzwischen massenhaft spezielle Ketamin-Praxen, sagt Bajbouj. „Das ist sehr kritisch zu sehen.“ Zum einen sei fraglich, ob die gewinnorientierten Anbieter immer seriös kontrollierten, ob das Verabreichen von Ketamin bei ihren Kunden tatsächlich sinnvoll sei. Hinzu komme der potenziell psychedelische Effekt der Substanz. Die direkten positiven Gefühle könnten den Wunsch nach Wiederholung groß werden lassen. Auch die Frage einer potenziellen Abhängigkeit müsse noch geklärt werden.
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Das sind Anzeichen für eine Depression:
Eine Depression kann sich durch vielfältige Symptome äußern. Typische Anzeichen sind eine anhaltend gedrückte Stimmung, Antriebs- und Denkhemmungen sowie körperliche Beschwerden wie Schlaflosigkeit, Appetitstörungen oder Schmerzen. Viele Betroffene hegen irgendwann Suizidgedanken, vor allem solche mit wiederkehrenden depressiven Phasen. Nach Schätzungen entwickeln etwa fünf Prozent der Bevölkerung im Verlauf eines Jahres eine Depression, im Lebensverlauf sind es 15 Prozent, wie Bajbouj sagt. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.
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Von RND/dpa