Unisexnamen: Wieso Eltern immer häufiger auf geschlechtsneutrale Namen setzen – und welche am beliebtesten sind

Wer heute ein Kind kriegt, hat die Möglichkeit, einen geschlechtsneutralen Namen zu wählen, ohne einen eindeutigen Zweitnamen dazuzugeben.

Wer heute ein Kind kriegt, hat die Möglichkeit, einen geschlechtsneutralen Namen zu wählen, ohne einen eindeutigen Zweitnamen dazuzugeben.

Modeimperien entwerfen gemeinsam mit der LGBTQ-Szene geschlechts­neutrale Kleidung, die Debatte um das generische Maskulinum geht längst über die Sprachwissenschaft hinaus und Eltern überlegen zweimal, ob eine Einteilung der Welt in Blau und Rosa sinnvoll ist: Allmählich, so scheint es, zeigt der Diskurs um die eigene Geschlechts­identität Wirkung. Das macht laut der Sozialversicherungs­behörde, die in Amerika die beliebtesten Kindernamen sammelt, offenbar auch Eindruck auf werdende Eltern: Von Jahr zu Jahr schaffen es mehr Unisexnamen unter die Top 1000.

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„Das schwappt auch nach Deutschland, wenn ein ursprünglich männlicher Name sich in den USA als weiblicher durchsetzt“, erklärt Hobbynamens­forscher Knud Bielefeld gegenüber dem Redaktions­Netzwerk Deutschland. Auch hierzulande hat die Zahl der geschlechts­neutralen Namen aus seiner Sicht „gefühlt zugenommen“. In seiner Datenbank zählt er rund 30.000 Vornamen, deren Beliebtheit der Diplom-Wirtschafts­informatiker jährlich auswertet und in Form eines Rankings einordnet. Demnach sind die häufigsten geschlechts­neutralen Namen im Geburtsjahrgang 2020:

  1. Noah
  2. Luca
  3. Elisa
  4. Mika
  5. Jonah
  6. Lian
  7. Toni
  8. Jona
  9. Luka
  10. Jonte

Die meisten Unisexnamen werden an Jungen vergeben

„Auf der Suche nach einem individuellen, einzigartigen Namen für ihr Kind greifen Eltern in der Regel auf fremde, immer exotischere Kulturen zurück, hierbei auch auf in unserem Kulturkreis sexusambige Namen, etwa Jungen­namen, die auf A enden“, sagt Mirjam Schmuck, Namensforscherin an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.

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Das spiegelt sich auch in dem Ranking wider. „Die meisten dieser Namen werden vor allem an Jungen vergeben“, erklärt Bielefeld – wobei es hier auch auf die Schreibweise ankomme. „Noah ist zum Beispiel ein geschlechtsneutraler Name, doch die Variante mit H wird eher an Jungen vergeben, ohne an Mädchen.“ Elisa wiederum würden fast ausschließlich Mädchen genannt, dennoch handele es sich um einen biblischen Namen, der auch für das andere Geschlecht geeignet sei.

Wer einen Unisexnamen wählt, braucht nicht zwingend einen Zweitnamen

Fest steht: Die Hürde, sich für einen geschlechts­neutralen Namen zu entscheiden, fällt heute weniger hoch aus als noch zu Beginn der 2000er-Jahre. Seit 13 Jahren ist es Eltern möglich, dem Nachwuchs einen Unisexvornamen zu geben, ohne dabei mit einem eindeutigen Zweitnamen deutlich zu machen, um welches biologische Geschlecht es sich handelt. Davor fand sich in Paragraf 262 Absatz 4 der Dienstanweisung für Standesbeamtinnen und -beamte und ihre Aufsichtsbehörden folgende Anweisung:

„Für Knaben sind nur männliche, für Mädchen nur weibliche Vornamen zulässig. Nur der Vorname Maria darf Knaben neben einem oder mehreren männlichen Vornamen beigelegt werden. Lässt ein Vorname Zweifel über das Geschlecht des Kindes aufkommen, so ist zu verlangen, dass dem Kinde ein weiterer, den Zweifel ausschließender Vorname beigelegt wird.“

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Das Bundesverfassungs­gericht hat sich mit einem Beschluss vom 5. Dezember 2008 zur Zulässigkeit geschlechts­neutraler Vornamen anders positioniert. Darin heißt es: „Mangels einschlägiger Bestimmungen im Namensrecht sind die Eltern in der Wahl des Vornamens grundsätzlich frei.“ Darüber hinaus verwies das Gericht darauf, dass es sich bei der Anweisung um eine Verwaltungs­vorschrift ohne Gesetzes­charakter handelt. Grenzen bestehen demnach nur für den Fall einer „verantwortungs­losen Wahl“, also wenn ein Vorname das Kindeswohl zu beeinträchtigen droht. „Ob dem so ist, liegt im Ermessen der Standesbeamtin oder des Standesbeamten“, sagt Bielefeld.

Ansonsten ist gesetzlich lediglich festgelegt, dass der auserkorene Unisex-Name und das Geschlecht des Kindes in das Geburten­register eingetragen werden.

Namensforscherin: „Der Anreiz, einen solchen Namen zu vergeben, besteht in der Seltenheit“

Obwohl ihre Beliebtheit augenscheinlich steigt, bleiben Unisexnamen laut Schmuck „durchweg niedrigfrequent“. Sie sagt: „Der Anreiz, einen solchen Namen zu vergeben, besteht gerade in der Seltenheit und Individualität solcher Namen.“

Als wichtigen Beweggrund für einen Unisexnamen nannten US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner nach Angaben der zuständigen Sozialversicherungs­behörde darüber hinaus, gezielt Vorurteile im Leben ihres Kindes zu reduzieren. „Ziel der Eltern ist zum Beispiel, dass Mädchen in der akademischen und geschäftlichen Welt die gleichen Chancen haben wie Jungs“, sagt Bielefeld.

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Dass die Entwicklung stets in einem direkten Zusammenhang zur gendergerechten Sprache stehe, glaubt der Diplom-Wirtschafts­informatiker nicht: „Noch sind es wenige Eltern, die sich deshalb für einen Unisexvornamen entscheiden“, sagt er. Dazu gehörten zum Beispiel Transpersonen, die selbst schlechte Erfahrungen mit einem eindeutigen Namen gemacht hätten.

Generell vermutet Bielefeld weniger komplexe Motive hinter dem Trend: „Vor allem auf den vorderen Plätzen des Rankings liegen Namen, die mit A enden. Für Jungennamen war das noch vor 50 Jahren eher untypisch – wegen des Klangs werden die Namen also oft auch an Mädchen vergeben.“ Manche Bezeichnungen hätten darüber hinaus mehrere Ursprünge. So sei etwa der Name Elin gleichermaßen ein skandinavischer Mädchen- wie ein bulgarischer Jungenname. „Das macht dann einen Unterschied in der Aussprache, ist in der Schreibweise aber nicht erkennbar.“

Welche Namen gefährden das Kindeswohl? Standesämter entscheiden

Zudem erleben Namen, die noch einem eindeutigen Geschlecht angehören, dem Hobbynamens­forscher zufolge einen Wandel: „Immer öfter schaffen es Menschen etwa, einem Mädchen einen Jungen­namen zu geben.“ Das wirke sich auf die Entwicklung einer Bezeichnung aus, denn künftige Eltern­generationen hätten die Möglichkeit, darauf zurückzugreifen. „Wird zum Beispiel der Name Thorsten erstmalig für ein weibliches Kind zugelassen, gilt das quasi als Präzedenzfall.“

Wenn ein Vorschlag für einen Vornamen in Deutschland abgelehnt wird, liegt das also vor allem daran, dass das zuständige Standesamt ihn nicht kennt oder fragwürdig findet. In der Regel stößt die getroffene Entscheidung auf Zustimmung: „85 bis 90 Prozent der Fälle, die das Standesamt an uns weiterleitet, bestätigen wir“, sagt Frauke Rüdebusch von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS). Folgende Ideen etwa, die hierzulande eingereicht wurden, wurden abgelehnt:

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  1. Dracula
  2. Berlin
  3. Casablanca
  4. Junge
  5. Graf
  6. King
  7. LaJulia
  8. Frühling
  9. Gift
  10. Krümel

„Bei solchen Namen hilft kein Zweitname“, erklärt die Expertin. Denn grundsätzlich werde jeder Name individuell betrachtet, egal ob der Nachwuchs fünf verschiedene oder einen trägt. „Auch an dritter Stelle gilt: Ist der Name nicht eintragungsfähig, erhält er von uns kein grünes Licht.“

Ein zweiter Vorname helfe nur, wenn zwar Bedenken bestehen, eine Bezeichnung aber grundsätzlich denkbar ist. Das sei zum Beispiel bei geschlechtsneutralen Namen der Fall. „Wir empfehlen immer, einen Zweitnamen dazuzugeben, damit das Kind sich später als männlich oder weiblich identifizieren kann“, sagt Rüdebusch. Gleiches gelte für Namen, die bestimmte Assoziationen hervorrufen. Als Beispiel hierfür nennt die Expertin den jüdischen Namen Amsel: Hiermit verbinden viele Menschen den Vogel – eintragungsfähig ist er dennoch, ebenso wie Jesus oder Alexa.

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