Rückschritte in der Gleichberechtigung

Verliererinnen der Krise: Wie die Pandemie Frauen nicht nur ausgebremst, sondern ihnen nachhaltig geschadet hat

Gender-Care-Gap: Frauen leisten durchschnittlich mehr unbezahlte Sorgearbeit für hilfsbedürftige Angehörige wie Kinder oder im Haushalt als Männer.

In der Pandemie waren Frauen weniger erwerbstätig. Sie haben ihre Arbeitszeit reduziert, Jobs gewechselt oder sind eher ins Homeoffice gegangen. Sie haben länger als geplant Elternzeit genommen.

Karriereknick, Gehaltseinbußen und zu wenig Beachtung in der Medizin? Die Corona-Pandemie könnte vielen Frauen in Deutschland auch langfristig Nachteile bringen. Aus Soziologie und Medizin kommen zum Internationalen Frauentag am 8. März kritische Stimmen. Die Krisenzeit erscheint im Rückblick als Beispiel für manche verpasste Chance – und als Weckruf, in Zukunft mehr an Frauen zu denken.

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Kurz vor Beginn der Pandemie veröffentlichte die britische Journalistin und Feministin Caroline Criado-Perez ein viel beachtetes Buch mit dem Titel „Invisible Women“ – unsichtbare Frauen. Es lieferte eine Fülle von Belegen für den Gender Data Gap. Das ist nach Definition der Autorin eine Art Patriarchat der Daten, in dem männliche Maße, Erfahrungen und Perspektiven als universell angesehen werden, weibliche dagegen als Randerscheinungen. Oft geschehe es nicht in böser Absicht, eher aus zu wenig hinterfragten Traditionen, schreibt Criado-Perez. Für sie bleibt eine Datenlücke, die sich bis in IT-Algorithmen fortschreiben kann: Künstliche Intelligenz hält einen Mann in der Küche dann mitunter für eine Frau.

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Wie steht es um den Willen, etwas zu verändern?

Doch mangelt es nur an Daten – oder auch am Willen, etwas zu verändern? Die Berliner Soziologin Jutta Allmendinger empfahl schon vor der Pandemie eine Viertagewoche für Männer und Frauen und plädierte nach skandinavischem Vorbild für mehr Väterzeit. Sie machte darauf aufmerksam, dass Auszeiten und Teilzeittätigkeiten von Frauen auch an fehlenden Möglichkeiten für Betreuung liegen – sei es für Kinder oder für pflegebedürftige Eltern. Zu Beginn der Pandemie warnte sie lautstark vor Rückschritten in der Gleichberechtigung. Und was denkt sie heute?

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„In der Pandemie sind in vielen Lebensverläufen Weichen gestellt worden, die sich nicht einfach zurückdrehen lassen“, fasst Allmendinger zusammen. „Für Frauen werden Lücken in ihrer Karriereentwicklung bleiben, die sich bei ihren Lebenseinkommen und Altersrenten zeigen werden.“ Sie hat es an ihrem Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung selbst erlebt. „Ich habe glänzende Wissenschaftlerinnen verloren, die in den administrativen Bereich gewechselt sind. Der Weg zur Professur ist damit verbaut.“

Frauen mit kleinen Kindern sind die Verliererinnen

Allmendinger zählt auf: In der Pandemie waren Frauen weniger erwerbstätig. Sie haben ihre Arbeitszeit reduziert, Jobs gewechselt oder sind eher ins Homeoffice gegangen. Sie haben länger als geplant Elternzeit genommen. Auch Frauen, die in großen, global ausgerichteten Unternehmen auf der Überholspur waren, seien in Teilzeit gegangen oder hätten ganz pausiert. Ausgebremst. Viele hätten in den drei Pandemiejahren Karrierestufen verpasst. „Die Verliererinnen sind vor allem Frauen mit kleinen Kindern und Frauen mit Pflegeverantwortung für die Elterngeneration“, fasst sie zusammen.

Die Soziologin spürt noch etwas, jenseits von Geld und Karriere. Es geht um Einstellungen, Normen und Gesellschaftskultur. „Negative Einstellungen gegenüber der Erwerbstätigkeit von Müttern – also die unsägliche Vorstellung einer „Rabenmutter“ – haben in der Pandemie größeren Zuspruch erfahren als davor“, sagt sie. Wenn jetzt die Öffnungszeiten von Kitas wieder zur Debatte stünden, werde klar, wie hartnäckig sich diese überkommenen Ansichten hielten.

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Frauen sind einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt

Szenenwechsel, harter Schnitt in Richtung Medizin und Forschung. Die Corona-Pandemie hat auch hier ein Schlaglicht darauf geworfen, welche Nachteile Frauen haben können. Selbst nach der heißen Anfangsphase samt Impfstoffsuche, die manches verzeihen lasse, seien sie nicht ausreichend gesehen worden, resümiert Ute Seeland, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für geschlechtsspezifische Medizin und Internistin an der Berliner Charité.

Dabei sei es nicht allein um die Tatsache gegangen, dass Frauen durch ihren hohen Anteil in Fürsorgeberufen ohne Chance auf Homeoffice einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt waren. „Männer und Frauen haben ein unterschiedliches Immunsystem“, betont Seeland. „Sie können deshalb auch unterschiedlich auf eine Impfung reagieren – wie eben auf jeden anderen Wirkstoff auch.“

Frauen machen die Forschung komplizierter

Besonders jüngere Frauen mit hohem Östrogenspiegel spürten demnach zum Beispiel in Studien bei gleicher Dosierung der Corona-Impfstoffe zum Teil mehr Nebenwirkungen als Männer. Hätten Frauen in diesem Lebensabschnitt vielleicht niedrigere Dosierungen gebraucht? „Diese Frage ist nicht konsequent verfolgt worden“, kritisiert die Ärztin. Solche Erkenntnisse seien bei Herstellern wenig beachtet geblieben und stünden auch in Studien eher versteckt im Anhang.

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Denn Frauen mit ihrem unterschiedlichen Sexualhormonstatus – mit Menstruationszyklus, während einer Schwangerschaft und nach der Menopause – machen Forschung generell komplizierter und damit auch teurer. „Und dann heißt es schnell, der Nutzen für die Gesellschaft ist größer, wenn wir es jetzt nicht so kompliziert machen“, sagt Seeland. „Das ist die Krux. Frauen müssen nicht allein in Studien eingeschlossen werden. Man muss aus den Ergebnissen dann auch Konsequenzen ziehen.“

Care-Arbeit lässt sich nicht nur in Stunden messen

Zurück zur Gesellschaft und ihren Daten. Nach dem jüngsten Bericht vom Dezember an die G7, einem Zusammenschluss westlicher Industriestaaten, leisten Frauen in Deutschland im Schnitt vier Stunden und zwei Minuten unbezahlte Familienarbeit am Tag. Bei Männern sind es zwei Stunden und 30 Minuten. International gesehen ist das kein Ruhmesblatt.

Soziologin Allmendinger sind das darüber hinaus zu vage Angaben, da die psychische Belastung außen vor bleibe. „Care-Arbeit lässt sich nicht allein in Stunden und Minuten messen. Sie ist auch mit unsichtbarer Verantwortung verbunden“, erläutert sie. „Wenn wir uns zum Beispiel nachts im Bett herumwälzen und überlegen, ob wir alle Geschenke für den Kindergeburtstag haben oder wie wir den Tag wuppen, wenn das Auto mal in der Werkstatt steht.“

Unbezahlte Familienarbeit dreht sich auch nicht allein um Kinder. In Deutschland geht es zunehmend um alternde Eltern. Die Mehrheit von ihnen wird zu Hause gepflegt – oft auch von Töchtern oder Schwiegertöchtern. Denn Pflegeheime sind bei geringen Renten nicht selten zu teuer oder ein Schreckgespenst. Soziologin Allmendinger beobachtet darüber hinaus, dass sich Paare viel häufiger als früher noch mit über 60 Jahren scheiden lassen – und sich dann auch nicht mehr gegenseitig pflegen.

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Das zarte Pflänzchen Homeoffice

Mit der wachsenden Lebenserwartung rolle auf die jüngere Generation mehr Pflegeverantwortung zu. Doch die Politik verdränge das vor lauter Digitalisierung, Klimadebatte und Krieg in der Ukraine, kritisiert Allmendinger. „Wir bauen nicht die Strukturen auf, die wir brauchen.“

Bereits jetzt, so hat die Bertelsmann Stiftung 2020 errechnet, geht es im Lebenserwerbseinkommen von Männern und Frauen in Deutschland um Unterschiede von bis zu einer Million Euro. Autorin Criado-Perez rechnet vor, dass sich mit mehr Erwerbseinkommen von Frauen – statt mehr unbezahlter Arbeit – allein aus Steuermitteln vieles finanzieren ließe: mehr Ganztags-Kitas und -Schulen zum Beispiel. Warum nicht auch bezahlbare innovative Pflegeangebote statt der Haushaltshilfe aus Polen, die dann dort mitunter ihren eigenen Eltern fehlt.

Gibt es gar nichts Positives, das bleibt, als Lehre aus der Pandemie? „Das zarte Pflänzchen Homeoffice ist während Corona kräftig gewachsen“, sagt Allmendinger. „Homeoffice durchbricht die Anwesenheitskultur. Vielleicht stellt sich heraus, dass damit auch ein Einstieg in eine Viertagewoche gemacht ist.“

Weg mit dem Ehegattensplitting und Minijobs

Wenn Deutschland jetzt auch entschlossen daranginge, das Ehegattensplitting – das große Einkommensunterschiede der Partner steuerlich begünstigt – und die Minijobs abzuschaffen, wäre für die Soziologin viel gewonnen. Das alles sei „Teufelszeug“ für die Unabhängigkeit von Frauen. „Es gibt enorme finanzielle Anreize, dass ein Partner lange ausscheidet, nur in Teilzeit oder in Mini- oder Midijobs arbeitet“, sagt Allmendinger. „Ich würde da nicht von freiwilligen Entscheidungen reden.“ Wenn Forscherinnen und Forscher mit Familien sprächen, hörten sie: Der Steuerausgleich war so, dass ich für nichts und wieder nichts gearbeitet hätte. Oder: Die Kita kostet mehr, als ich netto verdienen würde.

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„Wenn wir aus zwei Vätermonaten sechs Vätermonate machten, die verfallen, wenn man sie nicht nimmt, wäre das ein wichtiger weiterer Schritt“, ergänzt die Forscherin. Wenn Männer sich generell länger um ihre Kinder kümmerten, wäre das gute Vorsorge. „Aber wir tun da weiterhin zu wenig. Dabei müssten auch Arbeitgeber spätestens in der Pandemie gelernt haben, dass sie eine wertvolle hochproduktive Ressource – so sprechen sie ja über Frauen – in Zeiten von Fachkräftemangel nicht einfach außen vor lassen können.“

Einer Gesellschaft ohne Zeit fehlt der „soziale Kitt“

Und es geht um noch mehr bei Allmendingers Vorschlag einer Viertagewoche für alle. „Eine Gesellschaft ohne Zeit füreinander fliegt leicht auseinander, der soziale Kitt fehlt“, sagt sie. Und es geht ihr erneut nicht nur ums Geld. „Es gibt eine soziale Ungleichheit im Alter, die wir zu selten im Blick haben.“

Viele Frauen, die eine gute Karriere gemacht hätten, lebten heute ohne eigene Familie. „Ihre Einsamkeit schockiert mich manchmal.“ Ihr Leben im Alter sei zumindest oft ganz anders als das von Männern nach einer Karriere. Denn die hätten meist eine Frau, Kinder und einen Freundeskreis. Und für den hätten meist ihre Frauen gesorgt.

RND/dpa

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