„Notsituation“ in Kitas: Ein Drama für Eltern – und vor allem Kinder
430.000 Kita-Plätze fehlen in Deutschland. Das zeigen neue Berechnungen der Bertelsmann Stiftung. Hinter der Zahl verbergen sich Hunderttausende Familien, die nicht planen können. Eltern, die überlastet sind, ihre Kleinkinder dann doch komplett zu Hause betreuen. Denen mit Wegfall des Elterngelds nach dem ersten Babyjahr und steigenden Lebenshaltungskosten das Geld ausgeht. Die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen und sich fragen müssen: Wer von uns bleibt denn nun zu Hause?
Von einer „Notsituation“ ist in der Studie die Rede. Dabei gibt es auf einen Kita-Platz eigentlich einen Rechtsanspruch, und das schon seit 2013. Kita-Angebote wurden in den vergangenen Jahren zwar ausgebaut, aber das reicht bei Weitem nicht. Und selbst wer einen der begehrten Kita-Plätze ergattert hat, geht unsicher durch den Alltag. Wie wollen Eltern konzentriert arbeiten, wenn da die ständige Sorge ist, dass gleich doch wieder das Telefon klingelt? Weil es wegen Personalausfalls und winterlicher Erkältungswelle verkürzte Kita-Öffnungszeiten oder Komplettschließungen gibt?
„Nicht kindgerecht“: Zu wenig Personal im Kita-Alltag
Die Bertelsmann-Studie zeigt vor allem aber auch: Die Lage, gerade in den Kitas und Krippen für die Kleinsten von ein bis drei Jahre, ist inzwischen so dramatisch, dass es um weit mehr als „nur“ die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Denn da sind zwei weitere Zahlen aus der Studie, die skandalös sind. Fast 90 Prozent der Kita-Kinder in Ostdeutschland sind in Gruppen betreut, deren Personalschlüssel „nicht kindgerecht“ sind – im Westen sind es rund 62 Prozent.
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Zur vollständigen AnsichtAls optimal gilt bei unter Dreijährigen laut den Bertelsmann-Expertinnen und -Experten: eine erziehende Person auf drei Kinder. Im Krippenalltag sieht das meistens anders aus. Viele Erzieherinnen und Erzieher können sich nicht gut um die Bedürfnisse der ihnen anvertrauten Kinder kümmern, weil es schlicht zu viele sind. Vertrauen, Zuwendung, Geduld? Fehlanzeige. Deshalb ist unser Kita-System vor allem eines: für die Kinder selbst nicht mehr tragbar. Gerade in den ersten Lebensjahren ist das Verhältnis zu wichtigen Bezugspersonen besonders prägend.
Ein Dilemma: Notsituation lässt sich nicht mal eben lösen
Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus, das sich seit Jahren immer weiter verschlimmert? Ja, die Politik ist jetzt wirklich gefragt. Es braucht deutlich mehr Geld für den Ausbau von Kita-Plätzen. Bessere Strategien, um pädagogische Fachkräfte zu gewinnen – und vor allem auch langfristig im Beruf zu halten. Attraktivere Beschäftigungsbedingungen für diejenigen, die sich tagtäglich hingebungsvoll um unseren Nachwuchs kümmern. So könnte sich die Lage bis 2030 deutlich verbessern. Aber, so hält es die Bertelsmann-Studie fest, an der aktuellen Notsituation ändern solche Maßnahmen nichts. Weder daran, dass viele Eltern im kommenden Jahr ohne Kita klarkommen müssen. Noch daran, dass Kinder in Kitas jetzt gerade nicht genug Raum für ihre Bedürfnisse bekommen.
Die Studienautorinnen und Autoren schlagen deshalb vor, als Zwischenlösung Kita-Öffnungszeiten zu reduzieren und mit Quereinsteigern und -einsteigerinnen die Lage kurzfristig zu entspannen. Dass das offenbar die letztverbliebenen Lösungen sind, die uns in dieser misslichen Lage noch einfallen, zeigt, wie sehr die Familienpolitik in unserem Land versagt hat.