Tragikomödie aus Österreich

Der Mann, der sein Ich verlor: Kinofilm „Pfau – bin ich echt?“

„Ich bin ich“: Albrecht Schuch als identitätsverlorener Matthias und Julia Franz Richter als seine Freundin Sophia in einer Szene des Films „Pfau - Bin ich echt?“, der am 20. Februar in den Kinos startet.

Diesen Mann kann man für fast alles mieten: Matthias (Albrecht Schuch), attraktiver Miteigentümer und bester Mitarbeiter der Agentur My Companion, steht zahlungskräftigen Kunden zur Verfügung. Trotz verführerischer Angebote nicht als Callboy für sexuelle Dienste, sondern für die besten Notlügen. Das Geschäft boomt, ob er als kultivierter Begleiter beim Konzert klug über Musik parliert, als witziger Partner eine schicke Party adelt, als geliebter Papa mit Pilotenschein beim Elternabend glänzt oder als Sparringpartner für eine ältere Frau dient, die Streiten lernen will, um ihrem Mann Paroli zu bieten.

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Der Chamäleonmensch weiß keine Antwort auf die Frage: „Wer bist du?“

Egal wo, er macht immer eine „bella figura“, nur was ist fake und was real? Seine Bewertungen auf der Webseite sind toll, aber dieses Chamäleon hat bei all dem Rollenwechsel sein eigenes Ich verloren, behandelt seine Freundin (Julia Franz Richter) mit gefälligen Worten wie eine Kundin. Auf die Frage „Wer bist du eigentlich“, weiß er keine Antwort, stammelt nur so was wie „ich bin ich“. Selbst als sie einen riesigen Köter heranschleppt, um eine Reaktion zu provozieren, traut er sich nicht zu protestieren. „Du bist nicht mehr echt“, stellt die Lady fest und verlässt ihn wegen seiner aalglatten Attitude. Ein Schlag, der eine Identitätskrise auslöst.

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Der Österreicher Bernhard Wenger legt ein originelles Langfilmdebüt vor, das sich streckenweise mit Ruben Östlunds Gesellschaftssatire „Triangle of Sadness“ messen kann, auch wenn er weniger laut auf die Pauke haut, „Pfau – Bin ich echt?“ erinnert manchmal auch an Maria Schraders immer freundlichen humanoiden Roboter aus „Ich bin dein Mensch“, vielleicht das Dienstleistungsmodell der Zukunft.

Schauspieler Schuch fasziniert vom Fehlen des Charakters seiner Figur

Den viermaligen Deutschen Filmpreisträger Schuch faszinierte „das völlige Fehlen von Charakter bei Matthias, das Fehlen eines Selbst auf eine Weise: Seine eigene Persönlichkeit verschwindet, indem er anderen Menschen dient, und dabei unterschiedliche falsche Persönlichkeiten erschafft“, eine Persönlichkeit „wie eine weiße Leinwand“.

Inspiration für Wenger waren die schon seit über 20 Jahren existierenden Rent-a-Friend- oder Friend-for-Hire-Agenturen in Japan, einem Land großer Einsamkeit und Isolation, in dem das Gesichtwahren in der Öffentlichkeit Pflicht zu sein scheint. Zu Beginn konnten sich die Leute jemanden mieten, um ins Café oder spazieren zu gehen, Ansprache und Austausch zu pflegen. Diese Helferidee ist inzwischen mehr zum kostspieligen Mittel mutiert, sein Image aufzupeppen oder in der schnelllebigen Zeit von Social Media Eindruck zu schinden, und sei es nur für einen Abend.

Werner Herzog griff das Thema schon 2019 beim Filmfestival Cannes auf und sorgte mit „Family Romance, LLC“ für Diskussionen. Der Titel des Films entspricht dem Namen des realen Unternehmens, bei dem man den Schwager, Freund oder auch den abwesenden Vater eines Kindes mieten kann, „menschliche Nähe auf Zeit“. Eine Mischung aus Doku-Drama, in dem der Firmenchef sich selbst spielte und immer wieder in neue Rollen schlüpfte.

„Rent a Friend“ steht für die Auswüchse des Kapitalismus

Das Geschäft „Rent a Friend“ steht in Wengers scharfsinniger Betrachtung von Individualitätsverlust für die Auswüchse des Turbokapitalismus in einer Überflussgesellschaft, in der alles und jeder käuflich ist, wenn nur der Preis stimmt, die Monetarisierung alle Lebensbereiche bestimmt. Die Profiteure von Kommunikations- und Beziehungslosigkeit bieten eine Spielwiese für Eitelkeiten und Lügen, wohlgemerkt nicht nur im Film, sondern auch zunehmend in der Wirklichkeit.

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Ein herrlicher Coup ist das furiose Finale, wenn beim Mann ohne Eigenschaften die servile Nettigkeit plötzlich nicht mehr auf Knopfdruck funktioniert und er mitten in seinem Galaauftritt als gebildeter und dankbarer Sohn, der seinen konservativen Vater am Ehrentag hochleben und ihm durch seine Perfektion Geschäftsfreunde sichern soll, ausrastet und die bürgerliche Bagage beschimpft, einen Tobsuchtsanfall hinlegt, dass die Gläser klirren.

Die feinen Gäste dann aber – und das ist das Perverse – sein schamloses Verhalten als Kunstperformance interpretieren, um Konfrontationen zu vermeiden. Was nicht passt, wird passend gemacht, selbst die Authentizität.

Bissigkeit, Situationskomik, Timing und Bildsprache stimmen. Allein der Bungalow, in dem Matthias lebt, wirkt in Kälte und sterilem Design wie aus dem Katalog „Schöner Wohnen“ und wird zum stylischen Gefängnis, in dem nur der virtuelle Sprachassistent „Alexa“ Leben suggeriert und dann trotz aller KI auch noch den falschen Song liefert.

Es ist wieder mal Albrecht Schuch („Lieber Thomas“, „Berlin Alexanderplatz“, „Schachnovelle“), der als Poser und Opfer der bitteren und gleichzeitigen amüsanten Tragikomödie den letzten Schliff gibt. Bis in die letzte Pore hinein verkörpert er diese hinter der Fassade opportunistische, emotional leere und gleichzeitig verletzbare Figur, die im Meer von Angst und Frustration, Selbstentfremdung und Selbstzweifel nach Rettung sucht. Keine Angst vor zu viel Moral: Den witzigen und typisch bösen österreichischen Humor gibt‘s als Zugabe obendrauf.

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„Pfau – Bin ich echt?“, Regie: Bernhard Wenger, mit Albrecht Schuch, Julia Franz Richter, 102 Minuten, FSK 12, Start am 20. Februar

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