Auf der Bremse beim Tempolimit
Hallo zusammen,
wer über Ostern im Stau stand, hat sich vielleicht Gedanken darüber gemacht, ob der Weg über die Landstraße nicht doch besser zum Ziel führt als die Autobahn. In Sachen Verkehrsfluss hakte es jedenfalls an vielen Stellen. An diesem Punkt könnte ein Tempolimit helfen, sagen Fachleute. Außerdem im Klima-Kompass: ein weiterer Schritt beim Abschied von der Kohle – und ein Mut machender Lesetipp.
Punkt eins: Stop-and-go
Deutschland ist das einzige Industrieland weltweit, in dem es kein Tempolimit auf den Autobahnen gibt. Dabei sprechen die wissenschaftlichen Erkenntnisse eindeutig dafür: Große Mengen an Treibhausgasen würden eingespart – bei Höchsttempo 120 jährlich fast doppelt so viel wie durch den Wegfall aller Inlandsflüge hierzulande, nämlich rund 6,7 Millionen CO₂-Äquivalente. Das hat das Umweltbundesamt (UBA) im Rahmen einer umfangreichen Studie berechnet. Weitere positive und messbare Folgen wären: bessere Luftqualität und weniger Lärmbelastung.
Trotzdem ist es fast ein Reflex: Zur Osterreisezeit befragt, ob ein Tempolimit nicht auch hierzulande sinnvoll sei, antwortet Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) schlicht: „Das wollen die Leute nicht.“ Aber ist das tatsächlich so? Seit Jahren zeigen Umfragen anderes.
Die Mehrheit will mittlerweile ein Tempolimit
„Die Mehrheit der Deutschen ist für ein Tempolimit auf Autobahnen – selbst die Mehrheit der ADAC-Mitglieder“, sagt etwa Dorothee Saar, Bereichsleiterin Verkehr bei der Deutschen Umwelthilfe, dem RND. Dabei beruft sie sich auf eine Umfrage des Automobilclubs aus dem vergangenen Jahr, bei dem 54 Prozent für ein Tempolimit auf Autobahnen gestimmt hatten. Eine Umfrage des Umweltbundesamtes von 2021 hatte ergeben, dass 42 Prozent der Deutschen ein Tempolimit 130 auf Autobahnen stark befürworten und weitere 22 Prozent „eher dafür“ sind. Etwa 36 Prozent der Befragten lehnten die Begrenzung ab.
Ein Blick um uns herum zeigt: In allen anderen europäischen Staaten ist die erlaubte Höchstgeschwindigkeit gedeckelt. Am schnellsten darf dabei in Polen mit bis zu 140 km/h gefahren werden, in den weiteren Staaten Tempo 120 oder 130. Freie Fahrt gibt es auch weltweit nur selten, darunter in Teilen Indiens sowie in Nepal, Myanmar und Afghanistan.
In dieser Ansicht können leider nicht alle Inhalte korrekt dargestellt werden.
Zur vollständigen AnsichtMein Kollege Sebastian Salpius hat sich die Untersuchungen des UBA und der Deutschen Umwelthilfe noch mal im Detail angeschaut – mit Blick darauf, welche Tempolimits auf Autobahnen, Landstraßen und in Innenstädten welche Effekte haben. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen zumindest kurzfristig wohl den positivsten Einfluss auf die Umwelt hat. Und hier gilt: Je niedriger das Tempo, desto weniger Treibhausgase werden freigesetzt.
Punkt zwei: Bye Bye Kohle
Das waren doch mal gute Nachrichten: Über Ostern ist Deutschland dem Kohleausstieg ein Schritt näher gekommen. Insgesamt 15 Kraftwerken, die nach ursprünglichen Plänen eigentlich schon gar nicht mehr im Einsatz sein sollten, wurde der Stecker gezogen. Im Rheinischen Revier sowie in Brandenburg wurden insgesamt sieben Braunkohle-Kraftwerksblöcke abgeschaltet, teilten die Energieunternehmen RWE und Leag mit. Insgesamt hatten diese Blöcke eine Leistung von rund 3,1 Gigawatt. Außerdem seien acht mittlere und kleinere Steinkohleanlagen mit einer Leistung von insgesamt 1,3 Gigawatt nun endgültig vom Netz, hieß es vom Wirtschaftsministerium.
Eigentlich sollten die Kraftwerke schon früher stillgelegt werden. Nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs wollte Deutschland jedoch unabhängig von russischem Gas werden. Deshalb ließ die Bundesregierung mehrere Blöcke von Kohlekraftwerken länger laufen als geplant oder holte sie aus der Reserve, um sie für die Stromerzeugung zu nutzen und Erdgas zu sparen. Zum Ende des Winters 2023/24 ist nun aber endgültig Schluss. Der Ausstieg aus der Kohle soll in Deutschland bis 2030 komplett sein.
Und die erneuerbaren Energien legen zu: 31 Prozent des 2023 in Deutschland erzeugten Stroms stammte aus Windkraft. Bei der Solarenergie gab es einen regelrechten Boom und das Neun-Gigawatt-Ziel für das Jahr 2023 wurde mit 14,2 Gigawatt weit übertroffen. 2023 war das erste Jahr, in dem in fast allen Monaten mehr Strom aus erneuerbaren Energien eingespeist wurde.
Punkt drei: Alle Stecker raus
Die Earth Hour ist jedes Jahr im März – sie macht auf Klimawandel und Klimaschutz aufmerksam, indem weltweit für eine Stunde die Beleuchtung an öffentlichen Gebäuden abgeschaltet wird. Sie fiel nun zwar in die Osterpause des Klima-Kompasses, aber eine Zahl zur Earth Hour möchte ich unbedingt noch weitergeben – auch, weil ich mich bei dem Thema an die eigene Nase fassen darf, denn ich habe vor dem Urlaub keinen einzigen Stecker zu Hause gezogen. Eine Kleinigkeit? Insgesamt gesehen leider nicht. Denn der Bereitschaftsmodus von Elektrogeräten verursacht in Deutschland pro Jahr Kosten etwa 3,8 Milliarden Euro. Dabei wird eine Strommenge verbraucht, die dem Output eines mittelgroßen Atomkraftwerks entspricht, schreibt mein Kollege Frank-Thomas Wenzel mit Blick auf Zahlen vom Portal Check24.
10 Milliarden kWh nur für Geräte im Standby-Modus
Das bedeutet, dass in den privaten Haushalten rund 10 Milliarden kWh auf die Rechnung von Fernsehern, Stereoanlagen, Ladestationen, Mikrowellen und anderen Geräten gehen, die zwar am Stromnetz hängen, aber nicht genutzt werden. Aktuell zahlt eine vierköpfige Familie bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 5000 Kilowattstunden pro Jahr gut 1800 Euro. Im Schnitt fressen elektrische Geräte im Bereitschaftsmodus in Deutschland pro Jahr um die 8 Prozent des gesamten erzeugten Stroms. Vor allem vorm Urlaub ist es also sinnvoll, die Stecker zu ziehen.
Noch besser wäre natürlich, die Geräte übers ganze Jahr immer dann von der Stromversorgung zu trennen, wenn sie nicht genutzt werden. So können die Verbraucher ihren CO₂-Fußabdruck spürbar verringern. Nach Check24-Berechnungen werden wegen des Stand-by-Betriebs pro Stunde rund 520.000 Kilogramm Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen. Aufs Jahr gerechnet ergibt das eine Menge von 4,5 Milliarden Kilogramm.
Extra-Punkt: „Hoffnung für Verzweifelte“
Einen Lesetipp fürs Frühjahr hat meine Kollegin Anna Schughart parat – sie hat ein Interview mit der US-Wissenschaftlerin Hannah Ritchie geführt, das Mut macht. Ritchie forscht an der Universität Oxford zu globaler Entwicklung, hat gerade das Buch „Hoffnung für Verzweifelte“ veröffentlicht und ist überzeugt, dass es trotz Klimakrise, Plastikvermüllung und Artenverlust durchaus Anlass zu Hoffnung gibt. „Ich sage nicht, dass wir alle Probleme in den nächsten 50 Jahren lösen werden – aber wir könnten es.“
Denn: Viele der derzeit erforderlichen Lösungen seien bereits da – und sie umzusetzen werde immer kostengünstiger, betont Ritchie. Außerdem seien diese Lösungen bereichsübergreifend. „Wenn wir zum Beispiel den Fleischkonsum reduzieren, dann wirkt sich das nicht nur positiv auf die Klimakrise, sondern auch auf die Luftverschmutzung, auf die Entwaldung, die Biodiversität aus.“
Ritchie gibt auch Tipps, wie man durchaus sinnvoll seinen Beitrag leisten kann. Pointiert heißt das: weniger Fleisch und Milchprodukte essen, weniger kaufen, umweltfreundlich im Verkehr unterwegs sein und bewusst heizen – aber sich in seinem Bemühen nicht verzetteln und auf die wirklich relevanten Dinge konzentrieren. In Deutschland etwa dächten Menschen mehr über Plastikmüll nach als über Luftverschmutzung. „Dabei sterben Millionen Menschen durch Luftverschmutzung. Sie ist nur nicht so sichtbar.“
Gibt es Feedback oder Anregungen? Gerne her damit an Klima-Kompass@rnd.de.
Und für alle, denen auch klimabewusstes Bauen & Wohnen am Herzen liegt: Auch dies wird ein Thema sein in unserem neuen Newsletter „RND-Wohnen“, der am 20. April startet.
Es grüßt herzlich bis zur nächsten Woche:
Andrea Barthélémy
Abonnieren Sie auch
Europa-Radar: Was in Brüssel passiert und Europa bewegt: Unser RND-Korrespondent liefert EU-Insights und Hintergründe – immer donnerstags.
Demokratie-Radar: Wie steht es um die Demokratie in Deutschland? Unser RND-Team geht dem nach – jeden Dienstag in diesem Newsletter.
Krisen-Radar: Konflikte, Kriege, Katastrophen – analysiert von Can Merey, jeden Mittwoch neu.
Der Tag: Das Nachrichten-Briefing vom RedaktionsNetzwerk Deutschland. Jeden Morgen um 7 Uhr.
Unbezahlbar: Wertvolle Tipps und Hintergründe rund ums Geld – immer mittwochs.
Hauptstadt-Radar: Persönliche Eindrücke und Hintergründe aus dem Regierungsviertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags.
Das Leben und wir: Der Ratgeber für Gesundheit, Wohlbefinden und die ganze Familie – jeden zweiten Donnerstag.
US-Radar Was die Vereinigten Staaten bewegt: Die USA-Experten des RND ordnen ein und liefern Hintergründe. Jeden Dienstag.
Das Stream-Team: Die besten Serien- und Filmtipps für Netflix & Co. – jeden Monat neu.