Newsletter „Hauptstadt-Radar“

Die nächste Bluttat und der Wahlkampf

Ein Mann steht in Aschaffenburg nach einer Kranzniederlegung nach dem tödlichen Angriff in einem Park. In einem Park in Aschaffenburg waren am Mittwoch ein zweijähriger Junge und ein 41-jähriger Mann getötet sowie zwei weitere Menschen schwer verletzt worden.

Liebe Leserin, lieber Leser,

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Minderheitsregierung, deren Spitzenpersonal im Wahlkampf steckt, stellt man sich vor wie Igel im Winter – schlummernd unter Blätterhaufen. Es gibt nicht viel zu tun. Eine Verordnung hier, eine Strategie dort und der eine oder andere Bericht, der erläutert, wie es dieser oder jener Bevölkerungsgruppe geht und was zu tun wäre, wenn, ja wenn es eine Regierung mit Durchsetzungsvermögen gäbe.

Ganz so ist es nicht: Die Ministerinnen und Minister und ihre Stäbe sind noch beschäftigt – zumal sie gerade im Wahlkampf keine wichtigen Themen anbrennen lassen wollen. Das Innenministerium muss ein Auge auf die Sicherheit bei der Bundestagswahl haben. Wenn ein Verbrechen geschieht, das die Öffentlichkeit aufwühlt und nach politischen Konsequenzen schreit wie am Mittwoch in Aschaffenburg, sind die politisch verantwortlichen Spitzen vielfach herausgefordert. Hätte dieses Drama verhindert werden können, dem ein zweijähriges Kind und ein 41-jähriger Mann zum Opfer gefallen sind? Wenn ja, wie? Wer ist verantwortlich? Brauchen wir strengere Gesetze oder wäre uns – wie so oft – damit geholfen, die bestehenden Gesetze einfach zu vollziehen?

Jedenfalls waren Innenministerin Nancy Faeser und Bundeskanzler Olaf Scholz ebenso wie sein Herausforderer Friedrich Merz schnell mit klaren Botschaften in der Öffentlichkeit.

Scholz hatte im Elysée-Palast am Rande seines Besuchs in Paris zum Jahrestag der Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags von der Amok-Tat und den zwei Toten erfahren. Nach dem Mittagessen mit Frankreichs Staatspräsidenten Emmanuel Macron machte er sich sofort wieder zurück auf den Weg nach Berlin. Schon auf dem Rückflug war klar, dass er vom Flughafen noch einmal ins Kanzleramt fahren wird. Dort traf er sich mit Vertretern von BKA, Bundespolizei und Verfassungsschutz. Auch die Innenministerin war da.

Bundeskanzler Olaf Scholz bespricht sich nach dem Messerangriff von Aschaffenburg mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Vertretern der Sicherheitsbehörden.

In diesen Lagen schieben sich Zuständigkeit qua Regierungsamt und Wahlkampf übereinander. Scholz muss sich jetzt als handelnder Politiker zeigen und zugleich davon ablenken, dass seine Sozialdemokraten in Bund und Ländern Regierungsverantwortung und damit auch Mitverantwortung für die deutschlandweit ungelösten Probleme bei der Migration tragen.

Der Kanzler hatte schon aus Paris kurz vor Abflug nach Berlin von einer „Terrortat“ gesprochen und gesagt: „Ich bin es leid, wenn sich alle paar Wochen solche Gewalttaten bei uns zutragen. Von Tätern, die eigentlich zu uns gekommen sind, um hier Schutz zu finden.“ Er sprach auch von „falsch verstandener Toleranz“ und dass die Behörden „mit Hochdruck“ aufklären sollten, warum der Attentäter überhaupt noch in Deutschland gewesen sei.

Scholz‘ Begriff der „Terrortat“ ist juristisch nicht korrekt

Nun hat der Täter offensichtlich nicht politisch motiviert gehandelt, daher ist der Begriff „Terrortat“ zumindest juristisch nicht korrekt, was der Jurist Scholz natürlich weiß. Sein Statement ist eben beides: eine klare und notwendige Stellungnahme zu der furchtbaren Tat und eine politische Meinungsäußerung im Wahlkampf. Wäre nicht in wenigen Wochen die Bundestagswahl, wäre Scholz‘ Statement wahrscheinlich defensiver ausgefallen. Aber bevor die AfD von diesem Drama richtig profitiert, schmeißt sich der Kanzler lieber richtig rein.

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Aschaffenburg liegt in Bayern in der fränkischen Heimat von Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Sonst ist es Söder, der in schwierigen Lagen Ministerpräsidentenkollegen und die Bundespolitik sowieso vor sich hertreibt. Nun müssen er und sein Innenminister Joachim Herrmann erklären, warum ein psychisch auffälliger, den Behörden bekannter, ausreisepflichtiger Gewalttäter diese furchtbare Tat begehen konnte.

Wie so oft wird man bei einem Geflecht aus europäischen Zuständigkeitsfragen, der Langsamkeit deutscher Behörden, einer zu wenig aufmerksamen Justiz und am Ende auch unglücklichen Umständen landen. Die nächste Bundesregierung wird gemeinsam mit Ländern und Kommunen dieses Knäuel auflösen müssen. Nur wenn das gelingt, werden sich solche Taten verhindern lassen und damit der AfD die Chance genommen, die Migration nach Deutschland grundsätzlich zu verhetzen.

 

Machtpoker

„Die EU sollte den USA Angebote zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit machen.“

Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundes der Deutschen Industrie

Eher versöhnlich und partnerschaftlich reagiert der BDI auf den Amtsantritt und die Agenda des neuen US-Präsidenten Donald Trump. Niedermark erklärte allerdings auch, die EU-Kommission hätte Optionen, wie sie entschlossen auf neue Zölle auf Waren aus der EU reagieren und Gegenmaßnahmen einleiten könnte. Ob Trump so viel Dialektik versteht, wird sich zeigen.

Wolfgang Niedermark.
 

Wie Demoskopen auf die Lage schauen

Der Wahlkampf läuft auf Hochtouren, die Umfragewerte der Parteien stehen aber dennoch ziemlich zementiert. Im Vergleich zur Vorwoche gibt es beim Meinungsforschungsinstitut Forsa nur eine kleine Bewegung bei der AfD – es geht einen Prozentpunkt runter. Laut der aktuellen Umfrage kommen nur vier Parteien in den Bundestag: Union, AfD, SPD und Grüne. Es würde Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün reichen.

 

Was unsere Leserinnen und Leser dazu sagen

Georg Streubel schreibt uns:

Die Antrittsrede des neuen/alten Präsidenten der USA muss in Europa große Sorge auslösen; sie muss Anlass sein, um sich ernsthaft Gedanken über das Zusammenwirken der EU und der so genannten freien Welt zu machen. Das war der Beginn einer Zeitenwende. Nichts anderes als die Neuordnung der freien Welt hat dieser Präsident in seinem Sendungsbewusstsein angekündigt. Die Rede war geprägt von beängstigender Rücksichtslosigkeit gegenüber westlichen Partnern und Verbündeten, einem bekannten Egoismus und einer unverhohlenen Egozentrik. Ob das verstanden wird, was auf uns in Europa zurollen könnte, auch daran habe ich ganz erhebliche Zweifel. Ist die EU mit ihren trägen Mechanismen auf die Herausforderungen vorbereitet?

Holger Korsch aus Lüchow im Wendland schreibt zum Newsletter der vergangenen Woche:

Von Ihnen einmal wieder ein sehr fundierter und umfassender Newsletter-Beitrag zur politischen Situation vor der Wahl am 23. Februar 2025. Dafür herzlichen Dank. Es ist immer wieder eine Freude, Ihre Artikel und mündlichen Äußerungen zu verschiedenen Themen in Sendungen der öffentlich-rechtlichen Sender zuzuhören. Machen Sie bitte so weiter, wie auch die Kolleginnen und Kollegen in Ihrer Redaktion. Sie alle tragen gemeinsam dazu bei, die politische Welt im unseren Lande mit einer gewissen Neutralität und nüchternem Abstand besser zu verstehen, auch wenn sie das eine und andere Mal den sogenannten Finger zutreffend in die Wunde legen.

 

Das ist auch noch lesenswert

Meine Kollegen aus unserem Daten-Team haben einmal simuliert, was das neue Wahlrecht für den Ausgang der Bundestagswahl bedeuten kann und was es für die letzte Wahl 2021 bedeutet hätte. Hier geht es zu dem sehr spannenden Stück.

Auf unserer Webseite finden Sie seit einiger Zeit die Rubrik „Echt Deutschland“. Darin finden Sie berührende, kuriose und spannende Geschichten, die Kolleginnen und Kollegen aus unserem großen Netzwerk recherchiert und geschrieben haben. Aus dieser Rubrik möchte ich Ihnen den Bericht meines Kollegen Jan Wöller ans Herz legen. Er erzählt das Schicksal eine heute 84-Jährigen, der 1944 im Ghetto von Kaunas Opfer eines Nazi-Arztes wurde.

Alexej Heistver (84) und seine Frau Valentina Dubkova (85) leben seit 25 Jahren in Wismar. Als Kind überlebte Heistver die schrecklichen Experimente eines Nazi-Arztes.

Wenn Sie sich noch einmal einen Überblick verschaffen wollen, was Trump an seinem ersten Tag in den sogenannten presidential orders verfügt hat und was das bedeutet, empfehle ich die Zusammenfassung von Daniela Vates.

Nicht nur im Wahlkampf herrscht Begriffschaos um die AfD. Ist „rechtsradikal“ dasselbe wie „rechtsextrem“? Was heißt „in Teilen gesichert rechtsextremistisch“? Und was unterscheidet verfassungsrechtlich einen „Prüffall“ von einem „Verdachtsfall“? Mein Kollege Imre Grimm hat, wie ich finde erfolgreich, den Versuch einer Begriffsklärung am rechten Rand unternommen.

 

Am kommenden Donnerstag meldet sich meine Kollegin Kristina Dunz mit dem nächsten Hauptstadt-Radar. Bis dahin!

Herzlichst

Ihre Eva Quadbeck

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