EU-Außenministertreffen in Brüssel

Ukraine bittet EU-Staaten um schnelle Waffenlieferungen – wenige Wochen vor neuem Friedensplan?

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell (links) und der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sprechen am Rande des EU-Außenministertreffens in Brüssel.

Brüssel. Gabrielius Landsbergis ist verärgert. „Seit Juni wurde der Ukraine keine neue Munition geliefert“, sagte der litauische Außenminister beim EU-Außenministertreffen am Donnerstag in Brüssel. Wie kein anderer drängt er seit Beginn des russischen Angriffskriegs seine Ministerkollegen dazu, die militärische Unterstützung der Ukraine massiv hochzufahren. „Keine Patriot-Batterie, die beim Nato-Gipfel in Washington versprochen wurde, ist bisher geliefert worden“, fügt der Litauer hinzu. Dass Russland in den letzten Tagen die Ukraine mit einigen der schwersten Luftangriffe seit Kriegsbeginn überziehen konnte, sei zum Teil auch den Europäern anzulasten. „Mit den Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft kann Russland sechs dieser schweren Luftangriffe bezahlen“, kritisiert Landsbergis.

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Seit Juni wurde der Ukraine keine neue Munition geliefert.

Gabrielius Landsbergis,

Außenminister von Litauen

Die Unterstützung der Ukraine war das Topthema beim Treffen in Brüssel, zu dem auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba aus Kiew angereist war. Er wirkte einmal mehr frustriert und drängte auf eine schnelle Lieferung der bereits zugesagten Waffen. „Es gibt eine große Lücke zwischen der Ankündigung militärischer Hilfe und der tatsächlichen Bereitstellung“, sagte er. So ließe sich keine militärische Planung durchführen. Tatsächlich werden einige Waffen, die letztes Jahr versprochen wurden, erst 2027 in der Ukraine eintreffen.

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Kuleba hofft zudem, dass die EU Druck auf Großbritannien und die USA ausübt, damit sie die Beschränkungen für den Einsatz ihrer Waffen gegen Russland aufheben. Aus Sorge vor einer Ausweitung des Krieges dürfen die Ukrainer demnach mit Marschflugkörpern und Raketen keine Ziele tief im russischen Hinterland angreifen. „Wenn wir mit einer ausreichenden Menge an Raketen versorgt werden und zuschlagen dürfen, können wir Russlands Fähigkeit, unserer kritischen Infrastruktur Schaden zuzufügen, erheblich verringern und die Situation für unsere Streitkräfte vor Ort verbessern“, sagte Kuleba. Es gehe um legitime Ziele, wie Militärflugplätze.

Ich möchte nicht daran erinnern müssen, wie viel Geld für die Lösung anderer Krisen in Europa ausgegeben wurde.

Dmytro Kuleba,

ukrainischer Außenminister zu Sparankündigungen Deutschlands

Gleichzeitig wächst in Brüssel die Sorge, dass die Unterstützung der Ukraine weiter einbrechen könnte. Deutschland, Tschechien, aber auch die USA wollen die Gewinne aus eingefrorenem russischen Vermögen für Militärhilfe an die Ukraine nutzen und weniger eigene Gelder zur Verfügung stellen. „Jeder ist besorgt“, sagte Landsbergis. „Die Ukraine ist besorgt, die Ostflanke ist besorgt.“

Kuleba äußerte sich ungewöhnlich scharf: „Ich möchte nicht daran erinnern müssen, wie viel Geld für die Lösung anderer Krisen in Europa ausgegeben wurde, und diese Zahlen sind nicht vergleichbar mit dem, was für die Ukraine ausgegeben wird“, sagte er. Alle wüssten, was passiert, wenn Russland die Oberhand gewinnt. Dann würden die Kosten für Europa viel größer werden, um Russland zu stoppen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) versuchte, die Sorgen beiseite zu wischen. „Es wird vier weitere Iris-T-Systeme zum Ende des Jahres hin geben, auch weitere Gepard-Lieferungen“, bekräftigte sie. Die Luftabwehr sei weiterhin das Allerwichtigste, um Menschenleben vor Ort in der Ukraine zu schützen.

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Dass die Ukraine bei Waffenlieferungen in diesen Tagen Tempo macht, sich Anschläge auf russische Fabriken, Öldepots und Raffinerien häufen und die Vorstöße der ukrainischen Streitkräfte in der russischen Region Kursk weitergehen, kommt offenbar nicht von ungefähr. Derzeit mehren sich die Anzeichen, dass die Ukraine sich in eine gute Ausgangslage für Verhandlungen mit Russland bringen will. Mit der Besetzung von Kursk hat die Ukraine erstmals seit Beginn des Krieges Verhandlungsmasse in der Hand, an der Putin interessiert ist. Solange die ukrainischen Streitkräfte die Stellungen auf russischem Gebiet halten können, ist die Ukraine in der besten Verhandlungsposition seit langer Zeit, sagen EU-Diplomaten. Aus Kreisen der Außenminister heißt es, dass dies womöglich die letzten Wochen des Kriegs sein könnten. Allerdings nicht ganz freiwillig, denn nachdem die beiden größten Unterstützer, die USA und Deutschland, signalisiert hatten, dass es keine Ausweitung der Militärhilfen geben wird, steht die Ukraine unter Druck, einen Weg aus dem Krieg zu finden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bereits angekündigt, noch vor den US-Wahlen im November einen neuen Friedensplan vorzulegen. Er könnte EU-Diplomaten zufolge über China an den Kreml gespielt werden und der Beginn von Waffenstillstandsverhandlungen sein. Ob Putin sich diesmal darauf einlässt, ist jedoch völlig offen.

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Um sich unabhängiger von der Militärhilfe der EU-Staaten zu machen, baut die Ukraine mithilfe aus Brüssel die zerbombte Rüstungsindustrie im eigenen Land wieder auf. „Wir haben die Produktion von Waffen und Munition in der Ukraine deutlich gesteigert“, sagte Kuleba in Brüssel und rief die Verbündeten zu mehr Unterstützung dabei auf. Es sei der billigste und effizienteste Weg, die Ukraine mit Munition und Waffen zu versorgen. „Sie müssen keine Zeit mit Logistik verschwenden, sie müssen dafür keine überhöhten Preise zahlen.“

EU-Minister beraten über Sanktionen gegen israelische Minister

Beim Treffen am Donnerstag sprachen die EU-Außenminister auch über einen Vorschlag für Sanktionen gegen zwei israelische Minister, den der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell vorgelegt hatte. Finanzminister Bezalel Smotrich und Polizeiminister Itamar Ben-Gvir sollen Menschenrechtsverletzungen begangen und die Bevölkerung zu Hass auf Palästinenser aufgestachelt haben. Es seien „inakzeptable Hassbotschaften gegen die Palästinenser und eindeutig Verstöße gegen das Völkerrecht“, sagte Borrell zu Beginn des Treffens. Die EU dürfe sich von keinen Tabus abhalten lassen, ihre Sanktionsinstrumente einzusetzen. Die Minister wollen unter anderem Hilfslieferungen nach Gaza stoppen, um die Terrororganisation Hamas zum Aufgeben zu bewegen. Dafür würden sie auch den Hungertod der zwei Millionen Zivilisten in Kauf nehmen.

Außenministerin Baerbock schloss eine deutsche Zustimmung zu den EU-Sanktionen nicht aus. Ob die Voraussetzungen für eine Sanktionierung erfüllt seien, müsse aber genau geprüft werden. Deutschland habe immer wieder scharf kritisiert, wenn Israel internationales Recht verletzt hat oder Minister zu Gewalttaten aufgerufen haben, so Baerbock. Allerdings wollen mehrere EU-Staaten, darunter auch Deutschland, die Gesprächskanäle mit Israel nicht abreißen lassen. Eine einstimmige Verabschiedung von Sanktionen gegen die Minister kam daher nicht zustande. Es werden aber andere Sanktionen geprüft. Baerbock rief Israel am Donnerstag dazu auf, mehr humanitäre Hilfe und Impfstoffe nach Gaza zu lassen. „Man kann sich nicht vorstellen, was es bedeutet, seit Monaten ohne ausreichende Lebensmittel, humanitäre Hilfe, medizinische Versorgung leben zu müssen“, sagte sie. „Jetzt haben wir noch Fälle von Polio“, ergänzte die Ministerin. Eine Feuerpause sei essenziell, auch damit der Impfstoff nach Gaza gelangen und dort verimpft werden könne. Die Bundesregierung arbeitet nach RND-Informationen daran, Kinder aus dem Gazastreifen aufzunehmen.