Noch ist Kiew nicht verloren

In der internationalen Öffentlichkeit hat sich drei Jahre nach Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine ein Bild verfestigt, dem zufolge der Kreml-Herrscher seinem Ziel, einer Zerschlagung der freien, unabhängigen Ukraine, zum Greifen nahe ist. Zu allem Überfluss verliert Kiew mit den USA auch noch ihren wichtigsten Unterstützer. Also nur eine Frage der Zeit, wann Wladimir Putin dem Besiegten seine Bedingungen diktieren kann?
In der Ukraine ist es weniger hoffnungslos als man glaubt
Nicht ausgeschlossen, dass dieses Szenario tatsächlich eintritt. Nur: die Situation der Ukraine wird überwiegend hoffnungsloser dargestellt, als sie tatsächlich ist. Und das hat eben auch damit zu tun, dass sich die Ukraine und ihre Verbündeten ihrer demokratischen Agenda folgend sehr kritisch mit der eigenen Situation auseinandersetzen.
Insbesondere Kiew warnt stets plastisch vor dem drohenden Ende, weil sonst im Westen der nur spärlich fließende und allen Zusagen Hohn sprechende Zufluss an Hilfslieferungen vollends abebben würde. Und dass auf der anderen Seite eine gleichgeschaltete russische Propaganda sehr erfolgreich im Westen das Bild eines vor Kraft strotzenden Landes verbreitet, das längst nicht sein Potenzial ausgeschöpft hat.
Hauptstadt-Radar
Der RND-Newsletter aus dem Regierungsviertel. Immer donnerstags.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Dabei wird übersehen, dass es die ukrainischen Streitkräfte, die zu Beginn des Krieges in einem desolaten Zustand waren, geschafft haben, 80 Prozent ihres Territoriums zu verteidigen – entgegen den meisten Expertenmeinungen. Und dass Russland auch in diesem Winter nur marginal Gelände gewann, trotz aberwitziger menschlicher Verluste. Die zuletzt milliardenschwere westliche Hilfe, sie macht dennoch bis heute gerade mal 20 Prozent des ukrainischen BIP aus.
Tatsächlich verwies die gebeutelte ukrainische Wirtschaft in den letzten zwei Jahren auf ein durchschnittliches Wachstum von bemerkenswerten 4,4 Prozent. Sie wächst damit schneller als die des Aggressors Russland. Seit Mitte 2023, als ukrainische Drohnen der russischen Schwarzmeerflotte zusetzten, sind die Seewege offen, was die ukrainischen Exporte um 15 Prozent steigen ließ. Und nach Angaben aus Kiew werden jetzt etwa 40 Prozent der Waffen, die die Ukraine an der Front einsetzt, im Inland hergestellt – im Jahr des Kriegsbeginns waren es nahezu Null.
Mit knapp einer Million Soldaten ist die ukrainische Armee heute zahlenmäßig fast auf Augenhöhe mit der des Aggressors (1,3 Millionen aktive Soldaten), auch wenn der auf größere Reserven zurückgreifen kann. Kiews Armee ist wesentlich moderner ausgerüstet und geführt, was sich allein in den Verlustzahlen niederschlägt.
Und so trat auf der Münchner Sicherheitskonferenz ein ukrainischer Präsident vor die Mikrofone, der den Kurswechsel der Amerikaner längst verdaut zu haben scheint, der zudem seine verbliebenen Partner mit Optimismus und Zuversicht aus ihrer Schockstarre erweckte. Und der es ablehnte, mit Trumps Führung ein Abkommen über Seltenen Erden zu unterzeichnen.
Selenskyj ist zum Leader gereift, der anders als die Verzagten in Berlin, Paris und Brüssel keineswegs bereit ist, als Spielfigur auf Trumps Zockertisch sein Land zu verhökern. Und der eine breite Mehrheit der Ukrainer dabei hinter sich weiß.



